Thomas Schuld und das Erbe Edith Steins
Wie eine kleine grüne Oase liegt das Edith Stein-Archiv im Kölner Karmel Maria vom Frieden. Ende November 2025 verabschiedet sich der langjährige Leiter des Archivs, Thomas Schuld, nach fast zehn Jahren in den Ruhestand – mit einem geschärften Blick auf eine Frau, die für viele in der Kirche eine der großen Heiligen ist: Edith Stein.
„Der persönliche Austausch und die Begegnung hier spielen eine wesentliche Rolle“, sagt Thomas Schuld. Der gelernte Historiker ist seit 2016 Leiter des Edith Stein-Archivs im Kölner Karmel Maria vom Frieden. In dieser Funktion hat er in den letzten Jahren einen besonderen Schatz gehütet: den umfangreichen Nachlass der heiligen Edith Stein, der etwa 25.000 Originalblätter umfasst, darunter Handschriften, Briefe, Fotografien und Teile ihrer privaten Bibliothek.
„Edith Stein ist eine vielschichtige Persönlichkeit, aber mir in vielem bis heute ein Rätsel geblieben“, sagt Schuld. Er hat tausende Seiten ihrer Briefe gelesen, Handschriften studiert, wissenschaftliche Artikel betreut – und doch: je tiefer man gräbt, desto mehr Fragen tun sich auf. Vielleicht ist es gerade diese Unabschließbarkeit, die ihn an ihrer Biografie fasziniert.
Es gibt immer wieder neue Funde
„Tatsächlich bekam ich letztes Jahr einen handgeschriebenen Brief von einer über 90-jährigen Dame, deren Schwiegervater Professor am pädagogischen Institut in Münster war, an dem auch Edith Stein Dozentin war. Dann erzählte sie, dass ihr Mann und ihr Schwiegervater immer wieder von Edith Stein gesprochen hätten.“ Und so hätten sie schließlich wertvolle Unterlagen aus dem Umfeld Edith Steins zugeschickt bekommen, die sie bis heute noch gar nicht alle bearbeiten konnten.
„Und in der Tat tauchen auch immer wieder neue Dinge auf. Im letzten Jahr haben wir von Pater Ulrich Dobhan ein ganzes Konvolut von Ansichtskarten, die an Edith Stein geschrieben wurden, geschenkt bekommen. Die Ansichtskarten hatte Edith Stein seinerzeit einer anderen Nonne geschenkt, die in der Gefängnisseelsorge tätig war. Es kann durchaus sein, dass auch noch in nächster Zeit Überraschendes zutage gefördert wird“, blickt der Archivleiter hoffnungsfroh nach vorne.
„Ich sage unseren Besuchern immer, schaut in die Nachlässe eurer Verwandten, da gibt es viele Schätze zu heben.“
Die vielen Facetten der Persönlichkeit Edith Steins
Doch Thomas Schuld geht und ging es nie bloß um die Persönlichkeit Edith Steins. Ihn bewegen vor allem Fragestellungen historischer, aber auch theologischer Natur. Eine solche wichtige Frage ist etwa die, wie die jüdische Welt auf die Konversion Edith Steins und die spätere Kanonisierung als Heilige blickt.
„Sie wird immer als Brückenbauerin bezeichnet – das sehe ich heute skeptischer. Es gibt Stimmen in der jüdischen Welt, die sagen, die Katholische Kirche hätte besser daran getan, sie zu retten. Wer sich ins Kloster zurückzieht, wird nicht von allen als Vermittlerin wahrgenommen.“ Er versteht die Ambivalenz – und verteidigt sie nicht, sondern lässt sie stehen.
In den letzten Jahren sei Edith Stein zunehmend auch als Frauenrechtlerin wahrgenommen worden. So habe sie einen längeren Zeitungsartikel noch in Breslau zum Frauenwahlrecht der Weimarer Verfassung von 1919 geschrieben, der von einer polnischen Wissenschaftlerin erst vor einiger Zeit entdeckt wurde. „In der Frauenfrage spielt sie auf jeden Fall eine ganz wichtige Rolle und auch ansonsten war sie politisch sehr wach“, sagt Schuld.
Die Frau Dr. Edith Stein und Ordensschwester Teresia Benedicta a Cruce, die ihm über Jahre begegnete, war wohl keine einfache Zeitgenossin. Sie hat sich eingemischt in die Politik, hat für Frauenrechte gekämpft, und war vor allem eine bedeutende und eigenständige philosophische Denkerin.
Aber auch eine sensible Frau mit Widersprüchen und Kanten. „Das Bild hat sich verändert – das frühere Heiligenideal mit seinen Glättungen und Eindeutigkeiten ist so nicht mehr haltbar.“
Edith Stein und die Bodenständigkeit
Und so weitet sich auch der Raum für das zutiefst Menschliche. Eine anschauliche Anekdote dazu erzählte er kürzlich einer belgischen Schulklasse: „Als Edith Stein als Nonne zum ersten Mal putzen sollte, hat sie mit dem Wischmopp nicht geschrubbt, sondern ihn einfach wie ein Hündchen hinter sich hergezogen. Sie kannte das nicht – im Elternhaus hatte sie nie selbst geputzt.“ Die Schüler lachten und vielleicht war das der beste Einstieg in ein Leben voller Tiefe.
Thomas Schuld verlässt ein Archiv, das er mitgeprägt hat. Die Themen, die Edith Stein gesetzt hat und die jede Zeit neu beantworten muss, werden ihn dabei nicht loslassen. Das letzte Wort über Edith Stein ist ohnehin noch lange nicht gesprochen.