Besuch beim Altstadt-Armenküche e. V. Düsseldorf:Der letzte Stern der Hoffnung

Zwischen glänzenden Schaufenstern, belebten Straßencafés und in dem Gebäude, in dem sich auch das Rathaus befindet, liegt in der Düsseldorfer Altstadt ein unscheinbares grünes Tor. Wer es durchschreitet, betritt eine andere Welt – die Welt der Armenküche. Während draußen in den belebten Gassen Menschen zur Arbeit eilen und andere beim Morgenkaffee sitzen, wird hier drinnen geschnippelt, gerührt und gewürzt. Bis vor das grüne Tor zieht ein Duft, der wie eine Einladung riecht. Bald werden rund 200 Menschen eintreten.

Armut endet nicht am Tellerrand
Auf einer Kreidetafel im Innenhof der Altstadt-Armenküche steht das Tagesgericht: Reispfanne mit Hack und Gemüse. Kiloweise Fleisch, Gemüse, Reis – nichts bleibt davon übrig. Zum Nachtisch gibt es Mandarinenquark. Für die meisten ist das die einzige warme Mahlzeit des Tages. „Zu uns kann jeder kommen“, sagt Christian Piel-Bruch, während er den Kochlöffel schwingt. Seit über 30 Jahren ist der studierte Diplom-Biologe Küchenleiter. Lob bekommt er von seinen Gästen reichlich. Denn Piel-Bruch kocht für sie mit Herz: „Ich freue mich, wenn den Leuten mein Essen schmeckt, und ich schätze jedes herzenswarme Gespräch mit ihnen.“
Denn die Einrichtung ist weit mehr als ein Ort zum Sattwerden. Sie bietet Zuflucht für Menschen, die sonst im Hilfesystem durch alle Raster fallen: Wohnungslose, psychisch Erkrankte, Menschen ohne Papiere, Suchtkranke, Rentnerinnen und Rentner mit zu wenig Geld zum Leben. „Jeder ist willkommen, egal mit welcher Geschichte“, betont Dominikanerpater Wolfgang Sieffert, der die Armenküche seit vielen Jahren begleitet. Finanziert wird die Arbeit des Vereins ausschließlich durch Spenden. „Jeder Beitrag – und ist er noch so klein – zählt“, sagt der Ordensmann. Die breite Unterstützung durch die Düsseldorfer sichert die Unabhängigkeit der Armenküche – und ihre Freiheit, auch politisch Position zu beziehen. So arbeitet der Verein beispielsweise mit dem Gesundheitsamt, der Zahnärztekammer, der Politik und Initiativen wie dem „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ zusammen. Denn Armut endet nicht am Tellerrand. Sie braucht eine starke Lobby – heute mehr denn je, wie Sieffert weiß:
„Vor 33 Jahren traf sich eine Handvoll Menschen mit dem Dominikanerpater Emmanuel Renz und überlegte, was für die zunehmende Zahl Hungriger auf den Altstadt-Straßen getan werden könnte. Damals ahnte niemand, was daraus in kurzer Zeit entstehen sollte. Vor der Pandemie waren es knapp 100 Menschen täglich. Heute hat sich die Zahl der Hungrigen verdoppelt. Und es werden immer mehr.“

Gemeinschaft und Sorgen teilen
Vor der täglichen Essensausgabe frühstücken Ehren- und Hauptamtliche gemeinsam. Sieffert besteht darauf, auch wenn der Zeitplan eng ist. „Dieser Moment des Miteinanders ist wichtig“, sagt er. Am Tisch sitzen die 70-jährige Großmutter, ein junger ITler ohne Job, eine ehemalige Kinderkrankenschwester, ein selbstständiger Filmemacher. Rund 80 Ehrenamtliche und drei Hauptamtliche tragen die Arbeit – unterstützt von zwei Sozialarbeitern, die täglich für Gespräche bereitstehen. Sie hören zu, beraten, vermitteln weiter. „Wir sind ein kleiner, aber wichtiger Teil im Hilfesystem. Wir erreichen die, die am weitesten von der Gesellschaft weg sind“, sagt Sozialarbeiter Holger Kirchhöfer.
Cordula Tschirne unterstützt das Team seit 16 Jahren. Sie kennt die Menschen, die vor dem grünen Tor Schlange stehen. Fehlt ein Stammgast, fällt es auf. „Manchmal machen wir uns Sorgen: Ist jemand im Krankenhaus? Hat er die Nacht überlebt?“, erzählt die Rentnerin. Nicht selten begleiten die Ehrenamtlichen Menschen bis zum letzten Weg – sie organisieren Beerdigungen für jene, um deren würdigen Abschied sich sonst keiner kümmern würde. Tschirne erinnert sich an Regina, eine langjährige Besucherin, schwer alkoholkrank, dann krebserkrankt. „Wir haben ihre Trauerfeier gestaltet, Musik ausgesucht. Weil sonst niemand da war.“

Hoffnung und Wärme schenken
Zwischen all der Armut und dem Elend gibt es aber auch Geschichten der Hoffnung: Menschen, die den Absprung schaffen – in betreutes Wohnen oder in den Entzug. Doch für viele bleibt die Armenküche der Ort, an den sie irgendwann immer wieder zurückkehren. „Unser eigentliches Ziel wäre, dass niemand mehr kommen muss“, sagt Pater Sieffert und lächelt traurig. „Aber die Realität sieht anders aus.“
Trotz allem ist die Atmosphäre positiv. Man duzt sich, macht Witze, teilt Sorgen. Zwischen den Hochbeeten im Innenhof entstehen Gespräche, Freundschaften, stille Allianzen.
Wer sein Essen lieber mitnimmt, bekommt es an der kleinen Theke „to go“. Die Armenküche ist zum Treffpunkt geworden, mitten in der Stadt – und doch so fern der glänzenden Welt draußen. Während die Sonne über dem Rhein flimmert, füllt sich der Saal. Tellerklappern, vielsprachiges Stimmengewirr und Lachen erfüllen den Raum. Eine gebeugte Rentnerin mit Glitzersandalen über dicken Wollstrümpfen sitzt neben einem jungen Mann, der auf Ukrainisch auf einen älteren Herrn einredet, gegenüber ein jüngerer Gast, laut und unruhig. Sie alle sind Teil einer Gemeinschaft, der für zwei Stunden am Tag Normalität, Wärme und Menschlichkeit geschenkt wird.
Die Armenküche als Christusnachfolge mitten im Leben unserer Zeit: ein Leben voller gesellschaftlicher Herausforderungen, Spaltungen und Zukunftsängste. Ein Leben, dem einige einfach nicht gewachsen sind. Ein Leben, in dem die Altstadt-Armenküche der letzte Stern der Hoffnung ist.
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