Ein Interview mit Professor em. Dr. Albert Gerhards:Vorbild für den Wandel

Wie blicken Sie als Theologe und Liturgiewissenschaftler auf die Initiative und das Konzept?
St. Karl ist ein Begegnungsraum im Sinne des biblischen Gebots Matthäus 22,37-40: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben ...“ und „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Der Kirchenraum von St. Karl bietet mit seiner hohen architektonischen und künstlerischen Qualität dazu die bergende und zugleich anspruchsvolle Hülle. Hier sind die Grundvollzüge kirchlicher Lebenspraxis nicht mehr voneinander getrennt: Gottesverehrung in Gebet und Liturgie, Glaubenszeugnis in Wort und Zuwendung sowie konkrete Hilfe in materieller und seelischer Not.
Ein Kirchraum mit so vielen Möglichkeiten und Funktionen: Lässt sich da das Heilige des Ortes wahren?
Das Heilige ist kein weltenthobenes Anderes, sondern offenbart sich in menschlicher Begegnung, wie Jesus gelehrt und vorgelebt hat. St. Karl wahrt das Heilige, aber nicht dadurch, dass die „Welt“ vor der Kirchentür ausgesperrt bleiben muss, vielmehr ist die Schwelle gleichsam nach innen verlegt. Wie in mittelalterlichen Kirchen, in denen auch manches andere neben dem Gottesdienst stattfinden konnte, ist der Raum in Zonen aufgeteilt: Raum für den Leib, Raum für die Seele, Raum für das Heilige. Der Raum für das Heilige – der Chorraum – ist nicht exklusiver Sakralraum, sondern Zeichen der von Gott verliehenen Würde, die allen Begegnungen zu eigen ist, seien es die Ausgabe von Nahrungsmitteln oder Kleidung, spirituelle Angebote, Workshops oder Beratung.
Auch im Erzbistum Köln werden Kirchen aufgegeben werden müssen. Kann St. Karl Vorbild für andere Kirchorte sein?
Im Erzbistum Köln wurden schon Kirchen aufgegeben, zahlreiche werden folgen. Viele davon hätten eine Zukunft, wenn man ähnlich wie in St. Karl die Türen öffnet und die Potenziale des Raums den Menschen vor Ort zugutekommen lässt. Das Kirchenmanifest „Kirchen sind Gemeingüter“ von 2024 hat deutlich gemacht, dass die Kirchen nicht exklusiv den Gemeinden, sondern allen gehören. Sie müssen auch dann, wenn sie nicht mehr liturgisch genutzt werden können, einem spirituellen, kulturellen oder sozialen Zweck dienen. St. Karl dient allen drei Zwecken und ist zudem noch ein Raum für vielfältige Formen lebendiger Liturgie – und damit vorbildhaft für Transformationsprozesse anderer Kirchengebäude.
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