Frage: Wer sind die Besucher von Gubbio?
Sr. Christina: Wir haben eine Stammgemeinde von 30 bis 50 Leuten, die regelmäßig auch zum Gottesdienst kommen. Früher waren es 100 Personen bei der Messe am Heiligen Abend, im letzten Jahr waren es nur noch 50 bis 60.
Es gibt allerdings auch Menschen, die es nicht bis hierher schaffen. Wenn wir beispielsweise am Hauptbahnhof unterwegs sind, sehen wird dort das nackte Elend. Oder es gibt etwa Initiativen am Eigelstein und Chlodwigplatz, die davon berichten, dass sich dort sehr verwahrloste und kranke Menschen aufhalten. Ich kann dort nur gucken, wenn jemand ohne Schuhe oder mit total verlumpten Klamotten rumläuft, dass ich ihm ein paar Sachen aus unserem Depot besorge, um die größte Not zu lindern. Es gibt auch viele ehrenamtliche Gruppen, die dort weiterhelfen.
Stefan Burtscher: Unser Ziel ist es, den Menschen in der Zeit, in der wir uns ihnen zuwenden und ihnen zuhören, eine gewisse Erleichterung zu verschaffen. Dabei ist jedoch klar, dass wir an den jeweiligen Grundsituationen wenig ändern können und die Menschen nach kurzer Zeit wieder in der gleichen Lage sind. Dafür, gesehen, wahrgenommen und ernst genommen zu werden, sind viele unserer Gäste, aber auch besonders die Menschen am Bahnhof, am Chlodwigplatz, am Neumarkt oder am Ebertplatz sehr froh und dankbar.
Frage: Hat das Phänomen Obdachlosigkeit nach Ihrer Erfahrung in den letzten Jahren zugenommen?
Sr. Christina: Ich glaube schon, dass es mehr geworden ist. Es kommen allgemein jetzt wieder mehr Menschen in die Stadt. Aktuell etwa sagen viele, sie kämen aus dem Hochwassergebiet. Zunehmend ist auch das Phänomen von Rentnern, die durch die Städte ziehen und sich nicht einbinden lassen. Manchmal finde ich dann einen telefonischen Kontakt zu einem Betreuer in einem anderen Bundesland. Ich versuche dann, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie dahin gehen sollen, wo sie ihre Sozialleistung bekommen, und spendiere ihnen eine Fahrkarte dorthin. Viele merken spätestens dann, wenn sie zwei oder drei Nächte auf einer Parkbank übernachten müssen, dass es an ihrem ersehnten Reiseziel nicht besser ist als zu Hause.
Stefan Burtscher: Auch die Personengruppen aus Osteuropa sind ein großes Thema: Menschen aus Rumänien, Bulgarien und Polen etwa. Der Bahnhofsplatz beispielsweise ist ein Sammelpunkt von ganz vielen unterschiedlichen Gruppen, wo es eine große Fluktuation gibt. Es gibt Menschen, die sind schon seit mehr als zehn Jahren dort und leben in einem Radius von 500 Metern um den Bahnhof. Im Sommer sind viele Menschen auch nur ein paar Wochen da und dann wieder unterwegs. Hier im Gubbio haben wir einerseits ein großes Stammpublikum, aber dann gibt es auch diejenigen, die einige Wochen kommen und dann wieder weg sind, oder die, die ein halbes Jahr zwischendurch weg sind und dann wiederkommen.
Frage: Sprechen die Menschen mit Ihnen über den Glauben?
Sr. Christina: Ja, ganz viel. Ich kenne da alle möglichen Geschichten, manche sind in einem Heim bei Ordensschwestern groß geworden, der andere erzählt davon, wie großartig für ihn das orthodoxe Osterfest war. Andere sagen, ich weiß, dass Gott da ist, er beschützt mich. Oder sie sagen, ich glaube zwar nicht, aber du kannst ja mal für mich beten. Es gilt, jeder ist hier willkommen, es wird nicht nach der Konfession gefragt. Jeder kann auch am Gottesdienst teilnehmen.
Stefan Burtscher: Es ist sehr bereichernd zu sehen, wie viele Gespräche um existenzielle Fragen des Lebens und des Glaubens kreisen. Die Intensität der Gespräche und die Offenheit vieler obdachloser und wohnungsloser Menschen überrascht mich immer wieder.
Frage: Spielen dabei auch Sakramente eine Rolle?
Sr. Christina: Ja, durchaus. Aktuell möchte jemand die Firmung empfangen. Wenn er denn die Voraussetzungen erfüllt, möchte er Ende November oder Anfang Dezember gefirmt werden. Es gab und gibt Konversionen und Segnungen. Es gibt Beichtgespräche und die regelmäßige Feier der Messe, bei der auch viele zur Kommunion gehen. Vor einem Jahr wurde von einem Paar, das wir begleiten, ein Kind getauft, dabei wurde auch das Ehesakrament gespendet. Es war eine schlichte Zeremonie, die wir unterstützt haben, z. B. wurden von uns auch Ringe gekauft, da kein Geld zur Verfügung stand.
Frage: Was erhoffen Sie sich in Zukunft von Gubbio?
Sr. Christina: Vor allem wünsche ich mir, dass die Arbeit wie bisher fortgeführt und weiterentwickelt werden kann. Wir haben so etwa 10 bis 15 Leute beim Bibelteilen regelmäßig. Wir wollen gerne Exerzitienangebote machen. Mein Traum ist es, mit ihnen einmal nach Assisi zu fahren.