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Ein Arma-Christi-Kreuz in St. Anna in Hermerath (Neunkirchen-Seelscheid)

Hermerath, St. Anna, Arma-Christi-Kreuz
Datum:
1. Aug. 2025
Von:
Silke Ingenhorst
Objekt des Monats - August 2025

wohl Rhein-Sieg-Kreis, 1810
Holz (Eiche), geschnitzt, polychrom gefasst, teilvergoldet
H: 360 cm, B: 150 cm

 

 

Die Kirche St. Anna in Hermerath, ein Ort der Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid, wurde 1906 im neugotischen Stil gebaut und ersetzt einen vermutlich 1688 errichteten hölzernen sowie den um 1754 geschaffenen steinernen Vorgängerbau. Im Chorraum hinter dem Altar zieht ein großes, in leuchtenden Farben gefasstes Kreuz mit muschelförmigen Balkenenden den Blick der Kirchenbesuchenden auf sich. Es handelt sich um ein sogenanntes Arma-Christi-Kreuz, das in flächendeckendem Relief mit Leidenswerkzeugen und Motiven der Passion Christi beschnitzt, aus einem einzigen Eichenstamm gefertigt wurde, wie es in dieser Region des Bergischen Landes, dem rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis, charakteristisch ist.
Das 3,60 Meter hohe und 1,50 Meter breite Kruzifix zeigt anstelle des Korpus eine fragmentarisch auf Kopf, Hände, Herz und Füße reduzierte Fünf-Wunden-Darstellung des Gekreuzigten, welche wiederum eine Vielzahl an Werkzeugen und szenischen Verweisen auf die Passion Jesu, die sogenannten Arma Christi, einschließt.

Der Motivkanon, der auch als Passionsreliquien verehrten Arma Christi (die sowohl mit „Waffen“ als auch mit „Wappen“ Christi übersetzt werden), ist den Evangelienberichten zum Leidensweg Jesu entnommen. Sie stehen als Wappen der Erlösungsnarration emblematisch für die Leiden, die Christus auf sich genommen und durch seine Auferstehung in Zeichen des Sieges über Sünde, Leid und Tod umgewandelt hat. Die Verehrung der fünf Wundmale und der Leidenswerkzeuge ist eine Äußerung der Passionsfrömmigkeit und -mystik des Spätmittelalters, die in ihrer weiteren Entwicklung zur Zeit der Gegenreformation während des Barock zu ihrem Höhepunkt fand. In Form kontemplativer Betrachtung sollten Passionsgeschichte und -geschehen durch diese nachempfunden und verinnerlicht werden.

Bildprogramm
Das Hermerather Kreuz zeigt an höchster Stelle eine Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit: Gott Vater mit geöffneten Händen entsendet die Taube des Heiligen Geistes. Diese schwebt über dem Haupt Christi, der mit den Zeichen seiner Verspottung (Purpurmantel, Dornenkrone und Rohrstock) als Schmerzensmann wiedergegeben ist und so in die Thematik der Arma Christi einleitet. Im Zentrum der Kreuzbalken sind die Lanze des Longinus und der Stab mit Essigschwamm zusammen mit Palmzweig und Knüppel X-förmig zu einem Bündel geschnürt, welches die Bildfelder innerhalb der einzelnen Kreuzarme verbindet, ohne eine bestimmte Leserichtung vorzugeben. Auf dem linken Querbalken sind Geißelsäule und Rutenbündel (Mk. 15, 15), darüber der krähende Hahn von der Verleugnung des Petrus (Mk. 14, 66-72) sowie die Laterne von der Gefangennahme des Herrn (Joh. 18, 3) abgebildet. Die rechte Seite zeigt die Werkzeuge Hammer, Zange und Leiter, die bei der Kreuzigung zum Einsatz kamen, daneben die vorbereiteten Salbgefäße (Lk. 23, 56). Auf dem senkrechten Kreuzbalken prangt das Herz Jesu mit drei überdimensioniert großen Nägeln über einem Kelch mit Hostie, der auf das Abendmahl und das Geheimnis der Eucharistie verweist. Neben dem Münzbeutel mit 30 Silberlingen sieht man das Schwert des Petrus mit dem abgeschlagenen Ohr des Malchus (Joh. 18,10), darunter das Gewand Jesu und die drei Würfel der Soldaten, mit denen um selbiges gespielt wurde (Joh. 19, 23-24). Der Motivkomplex schließt mit der Darstellung eines Totenschädels, den Gebeinen des Adam, über der goldenen Sakramentsnische. Auch die Seitenflächen des Kreuzes sind mit reliefierten Darstellungen versehen. Hier stehen sich Judas Tod durch Erhängen unter Mitwirkung des Teufels (Mt. 27, 5) und der Sündenfall mit Adam, Eva und der Schlange gegenüber. Diese Szenen werden ergänzt um eine Hand in Ketten und die Kanne der Handwaschung des Pilatus (Mt. 27, 24). Den Sockel nehmen, als Zeugen der Passion und Kreuzigung, die Bildnisse der hl. Veronika mit Jahreszahl und Schweißtuch auf der Vorderseite sowie die Gottesmutter Maria mit dem Schwert des Leids (Lk. 2, 35) auf der linken und der Lieblingsjünger Johannes (Joh. 19, 25-27) auf der rechten Seitenfläche ein.

Provenienz
Das Arma-Christi-Kreuz von Hermerath stammt ursprünglich aus dem Nachbarort Hasenbach. 1810, wie die Jahreszahl am Fuße des Kreuzes verrät, wurde es von den dortigen Gutsbesitzern Johann Schmitz dem Jüngeren und seiner Frau Anna Veronika Peters, auf die die prominent platzierte Darstellung der heiligen Veronika am vorderseitigen Kreuzstamm referiert, errichtet. 
Typischerweise fanden Wegekreuze ihren Platz an markanten Wegepunkten, Kreuzungen sowie Dorf-bzw. Ortsein- und Ausgängen oder Gutshöfen zum Schutz vor Gefahr und Unheil, als Wegpunkte bei Bitt- und Bußprozessionen sowie als Ausdruck des Gesuchs auf Gottes Segen für Haus, Hof und Vieh. An besonderen Tagen im Kirchenjahr, zu Flur- und Fronleichnamsprozessionen bot die Sockel- bzw. Sakramentsnische solcher Kreuze einen Aufstellungsort für die Monstranz mit dem Allerheiligsten. 
Zweifellos ist das Hermerather (bzw. Hasenbacher) Kreuz in die Gattungen der Hof- und Prozessionskreuze einzuordnen, über den konkreten Anlass seiner Aufstellung und Stiftung kann jedoch nur spekuliert werden. Als Dank für ein wichtiges Geschehen, der Erinnerung an ein konkretes Ereignis, der Erfüllung eines Bittgesuchs, als Gelübde oder aufgrund des Bestrebens der Nachwelt ein Denkmal zu hinterlassen: Die Möglichkeiten persönlicher Motive sind vielfältig. Die Tradition dieser Arma-Christi-Kreuze scheint im ländlichen Raum des rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreises jedoch fest etabliert gewesen zu sein. In der Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid existieren heute noch vier Arma-Christi-Kreuze, die zu Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jh. entstanden sind (Hermerath, Söntgerath-Überdorf, Wolperath (sog. Mailänder-Kreuz) und Wiescheid, das heute auf dem Gemeindefriedhof steht). Sie alle sind in ihrer Darstellungsform stark dem Stil der deutlich älteren Epoche des Barock verhaftet, wobei die Kreuze des 19. Jh. meist ein etwas umfangreicheres ikonographisches Bildprogramm aufweisen.

Dass wir das Arma-Christi-Kreuz geschützt im Chor von St. Anna in Hermerath betrachten können ist nicht selbstverständlich. Über 150 Jahre am ursprünglichen Aufstellungsort der Witterung ausgesetzt, war es stark in Mitleidenschaft gezogen. Unterhalb des Querbalkens war der Kreuzstamm komplett gespalten und der Sockel abgefault. 1962 wurde es, inzwischen gänzlich auseinanderfallend, auf Initiative von Dechant Johannes Meinen in 28 Einzelteilen geborgen und weitere zehn Jahre später restauriert. 1976 wurde das Kreuz in der Hermerather Kirche aufgestellt und 1977 anlässlich des 175 jährigen Jubiläums der Pfarrgemeinde Hermerath feierlich eingeweiht.
Diese heutige Aufstellung des Kreuzes in direkter Nähe zum Altar ist ein Beispiel besonders gelungener Platzierung eines singulären Denkmals im Kirchenraum. Im Mittelpunkt des theologischen Programms des Arma-Christi-Kreuzes stehen die Themen Erlösung und Eucharistie. Die blutende Herzwunde und der Kelch mit Hostie im Zentrum des Kreuzes betonen den Opfertod Christi der sich gleichfalls im Altarsakrament vergegenwärtigt.

 

6 Bilder

Literatur/Quellen

Hacker-de Graaf, Ruth: Wegekreuze im Bonner Raum, Bonn 1991.

Hirtsiefer, Georg: Hasenbach und das Hasenbacher Kreuz, in: Heimatblätter. Jahrbuch 2 (1987) des Heimat- und Geschichtsvereins Neunkirchen-Seelscheid, S. 27-48.

Siebert-Gasper, Dieter: Bildstöcke und Wegekreuze in der Gemeinde Neunkrichen-Seelscheid, in: Jahrbuch 13 (1998) des Heimat- und Geschichtsvereins Neunkirchen-Seelscheid, S. 46-115.

Werling, Michael: Denkmale am Wegesrand. Wegekreuze, Bildstöcke und Heiligenstatuen in Bergisch Gladbach, (Band 82 der Schriftenreihe des Bergischen Geschichtsvereins Rhein-Berg e.V), Bergisch Gladbach 2021.