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Ein ungeahnter Schatz in St. Karl Borromäus in Köln-Sülz

St. Karl Borromäus, Köln-Sülz, Gemälde Maria mit Kind und Rosenkranz
Datum:
30. Juni 2023
Objekt des Monats – Juli 2023

Maria mit Kind und Rosenkranz

Gemälde: Helen Louise Wiehen (Köln), Öl auf Leinwand, 1934

Rahmen: Hildegard Domizlaff (Köln), Metalltreibarbeit, 1934

St. Karl Borromäus, Köln-Sülz


„Haben Sie bei Ihrer Arbeit schon mal einen Schatz gefunden?“ Diese Frage hören wir im Zuge der bistumsweiten Kunsterfassung öfter. Sie steht für die Freude des Menschen am Besonderen; zugleich bringt sie das Bewusstsein für die besondere Wertigkeit und Bedeutung von Objekten zum Ausdruck. Es gibt Objekte, die faszinieren den Menschen, ziehen ihn in seinen Bann, weil sie es vermögen, über sich hinauszuweisen; es gar verstehen, durch sakrale Kontextualisierung ins Transzendente zu greifen. Das Auffinden, Erkennen und Dokumentieren dieser Objekte ist das Spannende an unserer Arbeit, die bestrebt ist, bis in die Tiefen der oftmals mehrere Jahrzehnte und Jahrhunderte alten Kirchorte vorzudringen, um das vorhandene Kunstinventar möglichst vollumfänglich zu erfassen.

Manchmal findet man dann tatsächlich ein Stück, ein Kleinod, ein vergessenes Objekt, dessen Bedeutung und Entstehungskontext aus dem Blick des pfarrgemeindlichen Alltags geraten ist. Es steht verloren, abgedeckt unter weißen Tüchern, in der buchstäblich hintersten Ecke eines Kellers und fristet ein unbeachtetes Dasein.

Ein Objekt zur privaten Andacht

Ein Beispiel dafür ist das jüngst in St. Karl Borromäus in Köln-Sülz gefundene Gemälde mit einer Darstellung der Maria mit Kind und Rosenkranz, das die 1899 im niedersächsischen Verden (Aller) geborene Künstlerin Helen Louise Wiehen – zusammen mit ihrer guten Freundin Hildegard Domizlaff – im Jahr 1934 in Köln schuf.

Das gerahmte Bildnis ist für die private Andacht konzipiert, es ist kein repräsentatives, auf Fernsicht angelegtes Altargemälde. Vielmehr lädt es durch die Vielzahl kleiner, flach reliefierter Darstellungen entlang der metallenen Rahmenleisten zur Meditation der dargestellten Perikopen ein. Der wache, offene und zugleich mütterlich-warme Blick Mariens und ihres Kindes auf dem zentralen Gemälde versetzen den Betrachter in ihre Gegenwart, aus der heraus dann das Heilsgeschehen innig-verbunden betrachtet werden kann. Das Jesuskind dreht seinen Kopf weit zur Seite, um sich dem betrachtenden Gläubigen zuzuwenden. Es schenkt ihm seine ganze Aufmerksamkeit. Zugleich kommt die innige Verbundenheit des Kindes mit der Mutter zum Ausdruck, die mit beiden Händen das Kind sicher umgreift. In diesem Wechselspiel von Hinwendung und Geborgenheit, Öffnung und Innigkeit erinnert es an die Ikonen des liebkosenden Typs.

Der Rosenkranz

Im braunen Hintergrund des kompakten Gemäldes ist ein Rosenkranz angedeutet: Die weißen Perlen stehen jeweils für ein Gebet „Gegrüßet seist du, Maria“ mit entsprechend zu betrachtendem Geheimnis; bei jeder roten Perle wird ein „Vater unser“ gebetet. An der Stelle, an der im Rosenkranz üblicherweise das Kreuz hängt (und das Glaubensbekenntnis gebetet wird), verschwindet die Gebetskette hinter dem Kreuznimbus des Jesuskindes und bindet damit das leibhaft erscheinende Kind in das betrachtende Gebet mit ein. Jesus Christus selbst ist es, der im Gebet gegenwärtig ist. Zugleich deutet sich im Kreuznimbus des Kindes das Passions- und Erlösungsgeschehen an.

In den zwölf mit Tituli flankierten Reliefs des metallenen Rahmens setzt sich dieser Bezug explizit fort. Drei mal vier Szenen aus der Heilsgeschichte rahmen das zentrale Bildnis: auf dem oberen Querbalken Mariä Verkündigung unter zwei Rundbögen, Mariä Heimsuchung (Maria bei Elisabeth) und die Geburt Jesu; auf der linken Senkrechten von oben nach unten: Weissagung des Simeon (Darstellung des Herrn), Taufe Jesu, Auferweckung des Lazarus; auf der rechten Leiste: Einzug in Jerusalem, Kreuzigung Jesu (hier als „Ekklesia und Synagoge“ spezifiziert), Kreuzabnahme/Pietà. Auf der unteren Querleiste schließen sich an: Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi sowie die Aufnahme Mariens in den Himmel. Lediglich vier der dargestellten Szenen lassen sich nicht mit einem (in der Zeit üblichen) Rosenkranzgeheimnis in Verbindung bringen, vervollständigen aber die Betrachtung des Lebens Jesu in sinnvoller Weise. In den vier Ecken finden sich zwei Marien- und zwei Jesussymbole; die Mutter kann nicht ohne den Sohn und der Sohn nicht ohne die Mutter gedacht werden.

Die gleichmäßige, von einzelnen Akzenten belebte Reihung der Motive korrespondiert mit dem von Wiederholung und Kontemplation geprägten Rosenkranzgebet. Das repetierende und betrachtende Beten wiederum rekurriert auf das monastische Stundengebet, aus dem sich als vereinfachte Form im Hochmittelalter der sog. Paternoster entwickelt hatte: eine Abfolge von bis zu 150-mal wiederholten Vaterunser-Gebeten, die später entlang einer Gebetsschnur gebetet werden konnten. Die Anzahl 150 – bzw. drei mal 50 Geheimnisse wie im Rosenkranz, der auch Marienpsalter genannt wird – ergibt sich aus der Anzahl der 150 Psalmen, die dem Stundengebet zugrunde liegen. (Druckwerke mit Primärkatalogisat / Das Rosenkranzgebet und seine Geschichte (dombibliothek-koeln.de))

Zum Kontext des Werks

Die beiden Künstlerinnen dieses Objektes – Helen Louise Wiehen (ab 1935 verheiratete Laschinsky) und Hildegard Domizlaff – verband schon zu Studienzeiten ab 1918 eine enge Freundschaft. Nach wechselnden Wohnorten zogen sie 1926/27 gemeinsam nach Köln und 1929/30 in ein von Theodor Merrill erbautes Atelierhaus nach Köln-Müngersdorf. Wiehen tut sich vor allem als Paramentenstickerin hervor; Domizlaff arbeitet in verschiedenen Materialien, später auch Schmuck in Elfenbein und große Werkstücke für Kirchen (vgl. Tabernakel von Hildegard Domizlaff in St. Engelbert in Köln-Riehl | Erzbistum Köln (erzbistum-koeln.de)). Zusammen standen sie in engem geistigen Austausch u.a. mit der Schriftstellerin Ilse van Stach, die seit 1912 mit dem Kunstkritiker Martin Wackernagel verheiratet war. Van Stach, die zunächst als Protestantin großgezogen worden war, konvertierte 1908 – wie auch Hildegard Domizlaff im Jahr 1919 – zum Katholizismus. 1929 schrieb sie unter anderem Meditationen über den Rosenkranz. Darin formuliert sie freie Gedanken zu den drei – erst 2002 um ein viertes erweiterten – Rosenkranzgesätzen: die freudenreichen, die schmerzensreichen und die glorreichen Geheimnisse, beginnend mit einer Widmung an den hl. Dominikus, der einer Legende nach den Rosenkranz von Maria selbst empfangen haben soll:

„du aber – Dominikus! –
Jählings brichst du in die Knie
und empfängst und betest und stammelst
die erste große Mariensymphonie – “.[i]

Außer dem Rosenkranz-Gemälde befinden sich in St. Karl Borromäus aus der Mitte der 1930er Jahre noch drei weitere Objekte bzw. Objektgruppen von Hildegard Domizlaff, eines davon ebenfalls als Kooperationsarbeit mit Helen Louise Wiehen.

In Anbetracht dieser vielen Zusammenhänge ist dieses vergessene Objekt doch wahrlich ein kleiner Schatz, der Zeugnis ablegt für einen lebendigen Glauben und das künstlerische Vermögen zweier Künstlerinnen, die die sakrale Kunst und den geistigen Austausch der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitgeprägt haben


Anja Becker-Chouati 

Literatur

Heinz Finger: Das Rosenkranzgebet und seine Geschichte, in: Der heilige Rosenkranz. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln zum Rosenkranzjahr 2003, besonders zum Rosenkranzmonat Oktober und zum Jubiläum der Wahl Papst Johannes Paul II. am 16.10. (1. Oktober 2003 bis 7. Januar 2004), hg. v. Heinz Finger, Köln 2018; Druckwerke mit Primärkatalogisat / Das Rosenkranzgebet und seine Geschichte (dombibliothek-koeln.de) (abgerufen am 19.06.2023).

Ingrid Leonie Severin, Art. „Hildegard Domizlaff“, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: Hildegard Domizlaff | Portal Rheinische Geschichte (lvr.de) (abgerufen am 15.06.2023).

Ilse van Stach: Der Rosenkranz, Münster 1929.


[1] Van Stach 1929, S. 5.