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„Selig, wer zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen ist.“ Eine moderne Glockenkasel der Franziskanerin Sr. Animata Probst in St. Maria Königin, Köln-Marienburg

Köln-Marienburg, St. Maria Königin - Kasel
Datum:
31. Okt. 2023
Objekt des Monats – November 2023

„Selig, wer zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen ist.“

Eine moderne Glockenkasel der Franziskanerin Sr. Animata Probst in St. Maria Königin, Köln-Marienburg

 

zwischen 1965 und 1980
Applikation und Stickerei (Wildseide, Stickgarn, Japangold, Futter)
Etikett: EPHETA / TAUBST. ANSTALT / DILLINGEN DONAU.

Schlicht, irgendwie erdig und doch von einem feierlichen Glanz durchzogen erscheint das Messgewand der Dillinger Franziskanerin Sr. Animata Probst (* 1931), das sich heute in der Kirche St. Maria Königin im Kölner Stadtteil Marienburg befindet. Zwei verschiedene Stoffe fügen sich zu einer Einheit zusammen: ein braunes, gröberes Grundgewebe wird auf Vorder- und Rückseite um großflächig applizierte, hellere Gewebestreifen ergänzt. Das reduziert-aparte Erscheinungsbild des liturgisch weißen, für die Hoch- und Heiligenfeste des Kirchenjahres bestimmten Messgewandes erwächst aus dem franziskanischen Armutsideal seiner Schöpferin. Die roh belassene Wildseide – von der Raupe gesponnen, um in ihr die Wandlung zum Schmetterling zu vollziehen – verweist in ihrer natürlich belassenen Eleganz, auf den schlicht-schönen Reichtum geistlicher Armut. In aller Schöpfung das Werk Gottes sehen, durch sie Gott loben und preisen, – das war der große Appell, den der hl. Franziskus von Assisi nicht nur in seinem ‚Sonnengesang‘ (um 1225) der Nachwelt hinterlassen hat.

Auf der Kaselvorderseite – auf der oberen Brust des Priesters – nimmt, violett hinterlegt, die Darstellung eines tödlich verwundeten Lammes, das sog. Agnus Dei, großen Raum. Leidend und hilflos erscheint das weiße Lamm: das Maul geöffnet, den Kopf verdreht, die vorderen Knie geknickt, die blutende Wunde deutlich hervortretend. Ein heller Nimbus umfängt unscheinbar den Kopf des Tieres. Das goldene Kreuz deutet das geschlachtete Lamm Gottes auf den am Kreuz gestorbenen Jesus Christus hin; der feierliche Glanz nimmt den Sieg über den erlittenen Tod vorweg.

Der Höhepunkt des liturgischen Vollzuges der Eucharistiefeier, für die das Gewand gefertigt wurde, ergänzt die bildliche Darstellung um eine weitere Dimension und führt zur eigentlichen Bedeutungstiefe: im Augenblick der Wandlung, in der Elevation (Erhebung) von Hostie und Kelch, tritt unter den Armen des Priesters mit dem erhobenen Leib/Blut Christi die Darstellung des Lammes vor den Augen der Glaubenden hervor und vereint sich mit den Worten des „in persona Christi“ agierenden Priesters: „Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ / „Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Beim Brechen des Brotes bittet sodann die Gemeinde: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt: Erbarme dich unser.“ Und kurz vor der Kommunionspendung, den gebrochenen Leib der Gemeinde zeigend, spricht der Priester die Worte: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt“ (Joh 1,29), oder alternativ aus der Offenbarung: „Selig, wer zum Hochzeitsmahl des Lammes geladen ist.“ (Offb 19,9)

Um das Lamm im Zentrum des eucharistischen Geschehens versammeln sich wiederum all diejenigen, die geladen sind. So erheben sich im Augenblick der Elevation, in dem sich die Arme des Priesters um den nun realpräsent gegenwärtigen Christus schließen, die Apostel, die auf den äußeren Saumkanten der Kasel figuriert sind. Dem Festzug dieser ersten Zeugen schließt sich – zusammen mit allen Engeln und Heiligen, wie zuvor im Sanctus bekannt – die gesamte, um den Altar versammelte Feiergemeinde an; Braut und Bräutigam – Christus und die gesamte Kirche – versammeln sich zum gemeinschaftlichen Hochzeitsmahl. In der konkreten Feiergemeinde ereignet sich so die Vorwegnahme des Himmlischen Jerusalem; Himmel und Erde begegnen einander. Festlich durchdringen die goldenen Spiralen den erdigen Grund!

Das im Inneren des Gewandes vernähte Etikett verweist auf seinen Herstellungskontext in der bereits 1855 von dem späteren Regens Johann Evangelist Wagner (1807−1886) in Dillingen an der Donau gegründeten „Versorgungsanstalt“ für gehörlose Mädchen und Frauen. Sie ergänzte eine 1847 im Dillinger Franziskanerinnenkloster eröffnete Schule für gehörlose Mädchen. Spätestens ab 1859 wurden hier Paramente gefertigt. Die Stilistik der Stickereien wiederum verrät die künstlerische Hand, aus der die Arbeit stammt: sie wurden von der 2021 für ihr Lebenswerk mit dem päpstlichen Ehrenzeichen „Benemerenti“ ausgezeichneten Stickerin Sr. Animata entworfen und von Stickerinnen der Einrichtung ausgeführt. 

Nach der Ausbildung in einer Textilwerkstatt in Augsburg studierte Sr. Animata von 1959 bis 1965 an der Akademie der bildenden Künste in München und begann dann ihre Tätigkeiten in der genannten Paramentenstickerei. Die Datierung der Kasel lässt sich anhand des Etiketts und aus der Logik des liturgischen Vollzuges heraus weiter einkreisen: nur wenn der Priester „versus populum“ zelebriert, ergibt sich die ausgeführte gestalterische Gesamtkomposition. Das macht eine Fertigung des Paramentes nach der Umsetzung der neuen liturgischen Bestimmungen, die im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962−1965) beschlossen wurden, wahrscheinlich. Als terminus ante quem wiederum können wohl die frühen 1980er Jahre angenommen werden, da ab dieser Zeit die im Etikett genannte Bezeichnung der ‚Taubstummenanstalt‘ nicht mehr verwendet wurde. 2015 musste die erfolg- und traditionsreiche Paramentenfertigung 2015 eingestellt werden. Die von Regens Johann Evangelist Wagner zusammen mit den Dillinger Franziskanerinnen im 19. Jahrhundert gegründete Einrichtung jedoch ist zusammen mit dreizehn weiteren regionalen Zentren in Bayern (und einem in Ungarn]) im Regens Wagner-Werk bis heute für Menschen mit Behinderung tätig.

Anja Becker-Chouati

Literatur/Quellen

Herzlichen Dank für die freundliche Auskunft an Bernhard Brenner, Archivar der Regens-Wagner-Stiftungen Dillingen/Donau sowie an Sr. Animata Probst.

https://www.regens-wagner.de/wir-gratulieren-sr-animata-probst-zur-verleihung-des-paepstlichen-ehrenzeichens-benemerenti-2465308/ (Wir gratulieren Sr. Animata Probst zur Verleihung des päpstlichen Ehrenzeichens Benemerenti! | Regens Wagner (regens-wagner.de) – aufgerufen am 27.10.2023.

Scott Hahn: Das Mahl des Lammes. Die Messe als Himmel auf Erden, Augsburg 2003.