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Vom Lied zum Bild – das Chorwandgemälde „Wachet auf“ in St. Bernhard in Bonn-Auerberg

Wandrelief
Datum:
1. Feb. 2024
Objekt des Monats – Februar 2024

Paul Magar, Bonn-Bad Godesberg, 1961
Farbe auf Putz
Signatur: Paul Magar 1961


Der Raumeindruck der 1956 geweihten Kirche St. Bernhard in Bonn-Auerberg wird wesentlich bestimmt von dem beinahe raumhohen Monumentalbild des Malers Paul Magar (1909–2000), der seit 1947 in Bad Godesberg lebte und arbeitete. Die Kontur des Bildes greift die in St. Bernhard häufig auftretende Form des Trapezes auf, die sich u.a. im Grundriss des Chores und in den Fenstern der Kirche findet. Das Fresko ist eine Verbildlichung des bekannten Kirchenliedes „‘Wachet auf‘, ruft uns die Stimme“ (Gotteslob 554), dessen Text und Melodie von dem lutherischen Pfarrer Philipp Nicolai (1556–1608) im Jahre 1599 verfasst wurden. Das Lied – es bildete später die Grundlage der gleichnamigen Kantate von Johann Sebastian Bach (BWV 140) – bezieht sich auf das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1–13) sowie auf die vom Propheten Jesaja vorhergesagte Rückkehr des göttlichen Königs (Jes 52,7–10).

In seiner Wandmalerei zeigt sich deutlich Magars Beschäftigung mit den Stilen des Kubismus und des Orphismus, aus denen er seinen ganz eigenen, unverkennbaren und zeitlosen Malstil entwickelte. Geometrische Formen wie Kreise, Kegel, Quader, Rhomben, Trapeze und Dreiecke reihen sich in gleichsam mathematischer Präzision aneinander und verflechten sich in einer streng systematischen Ordnung. Die Farben der sich überlappenden, flächig und mosaikartig angelegten Darstellungen tupfte Paul Magar auf, so dass allein schon durch die Art des Farbauftrages Plastizität und Räumlichkeit entstanden. Die auf diese Weise geschaffene überreiche Komposition visualisiert einzelne Bilder des Kirchenliedes in pastelligen Braun-, Orangerot- und Blautönen: 

1.    Das Sternbild des Kleinen Bären/Kleiner Wagen mit dem Polarstern (oben links);
2.    Das Sternbild des Großen Bären/Großer Wagen (ausgehend vom Oberkörper Christi);
3.    Das himmlische Reich (blaue Farbtöne);
4.    Das irdische Reich (Ockertöne); 
5.    Die irdischen Zinnen mit den rufenden Wächtern, darunter die klugen Jungfrauen mit den Öllampen (linke Seite);
6.    Das himmlische Jerusalem mit musizierenden Engeln und weit geöffneten Toren (oben rechts); 
7.    Christus als König vor seinem Thron als Mittler zwischen den Welten.

Die Gesamtkomposition bezieht dabei durch das Bild des gekrönten Christus auch den in einiger Entfernung zur Wand stehenden Altartisch ein. Nimmt der Betrachtende die Position am Fuß der Altarstufen ein, etwa auf Augenhöhe mit der Mensa, scheint Christus auf den Altar hinabzusteigen, ihn zu betreten, um mitten unter den Menschen zu sein, und zwar „nicht nur bei der Messfeier, sondern nach Interpretation des Künstlers auch im täglichen Leben“[1].

Ursprünglich war die Chorwand bilderlos geplant, doch konnte der damalige Pfarrer an St. Bernhard, Josef Schäfer, 1958 Paul Magar für das Vorhaben einer Ausmalung gewinnen. Pfarrer Schäfer gab selber das Thema vor: „Als großer Musikliebhaber hätte er gerne sein Lieblingslied ‚Wachet auf, ruft uns die Stimme‘ in einer malerischen Form auf der Altarwand gesehen. Das Lied beinhalte nämlich die Situation der Christen in der Welt überhaupt“[2]. Magar fertigte daraufhin zwischen 1958 und 1960 zunächst Zeichnungen, Detailskizzen und einen maßstabgerechten Aquarellentwurf für das Chorwandgemälde an. 

Das lateinische Sprichwort „Habent sua fata libelli“ („Bücher haben ihre Schicksale“) gilt nicht nur für Bücher. Manche Kirchenausstattung ist stilistisch eng an ihre Entstehungszeit geknüpft und wird von den nachfolgenden Generationen dann oft weder verstanden noch gewollt. Für das Altarfresko „Wachet auf“ in St. Bernhard ist hingegen festzustellen: Aus heutiger Sicht kann Magars Werk „nicht nur hinsichtlich des Themas, sondern auch in Bezug zum Ort, zur Kunsttechnik und Funktion“[3] als gelungen und zeitlos betrachtet werden.

Im Vorraum der Kirche begegnet man einem weiteren Werk Paul Magars. Es handelt sich um ein 1977 geschaffenes Aluminiumrelief mit dem Titel „Ite missa est“, das die Gemeinde aus Anlass des silbernen Priesterjubiläums von Pfarrer Matthias Harren stiftete. Den dazu verwendeten Werkstoff bezog Magar von den benachbarten Vereinigten Aluminiumwerken (VAW).


Carsten Schmalstieg

Literatur

Ameln-Haffke, Hildegard/Bartsch, Hermann/Neukirchen, Ralf: „Wachet auf“. Das Altarfresko des Bonner Künstlers Paul Magar in der Pfarrkirche St. Bernhard in Bonn-Auerberg. Bonn 2011.

Festschrift St. Bernhard 1981: St. Bernhard in Bonn-Auerberg. 25 Jahre. Herausgegeben von der Katholischen Pfarrgemeinde Bonn-Auerberg. Bonn 1981.

Herberg, Josef (Hrsg.): Kirchen in Bonn. Geschichte und Kunst der katholischen Pfarreien und Gotteshäuser. Petersberg 2011, S. 124.

Passavanti, Wilhelm (Hrsg.): Bonner Kirchen und Kapellen. Geschichte und Kunst der katholischen Gotteshäuser und Pfarreien. Bonn 1989, S. 98f. 

Zehnder, Frank Günter: Paul Magar. Werkübersicht eines rheinischen Künstlers (1909–2000). Köln 2009.


[1] Ameln-Haffke/Bartsch/Neukirchen 2011, S. 27.
[2] Festschrift St. Bernhard 1981, S. 15.
[3] Zehnder 2009, S. 35.