„Jedes Kind will lernen – wir wollen den Weg aufzeigen“:Ellen Keuenhof im Interview zum pädagogischen Konzept des Bildungscampus Köln-Kalk

Köln. Elke Keuenhof ist seit Februar 2024 am Erzbischöflichen Bildungscampus Köln-Kalk als Didaktische Leitung für das pädagogische Konzept mit verantwortlich. Im Interview gibt sie Einblicke in das neuartige schulische Konzept, das am Bildungscampus umgesetzt wird, um jedem Kind die besten Zukunftschancen zu eröffnen und das Motto „Schule für alle“ auf smarte Weise Wirklichkeit werden zu lassen.
Frau Keuenhof, wie sind Sie zum Bildungscampus und zur intensiven Beschäftigung mit der Pädagogik gekommen?
Seit Jahren beschäftige ich mich damit, was Schule anders und besser machen kann, wie Schule künftig sein muss. Ich habe dann mitbekommen, dass es eine Schule gibt, die eine Lernlandschaft neu aufbaut, und gesagt: Ich habe Lust, diese Schule pädagogisch mit zu gestalten und würde mich total auf diese Herausforderung freuen.
Was haben Sie vorgefunden an Konzept und was haben Sie weiterentwickelt?
Es gab schon vorher eine Grundstruktur, z.B., dass wir uns mit Köln-Kalk, dem Stadtteil, vernetzen und dies immer weiter voranbringen möchten. Da konnte ich mit meinen Vorstellungen super andocken. Auch bei der Idee, dass wir ganz individuell arbeiten wollen. Was die Gesamtschulleiterin Carina Quirmbach in ihrem ersten Konzept mit entworfen hat, habe ich dann noch einmal weiter differenziert anhand der Fragestellung: Was braucht es alles genau, damit die Lernenden individuell arbeiten können?
Braucht jede Schule ein pädagogisches Konzept? Und was zeichnet das am Bildungscampus aus?
Jede Schule sollte ein klares pädagogisches Konzept haben – und dieses sollte sich an einem Leitbild orientieren. Bei uns ist das ein christliches Leitbild, das zentrale Fragen stellt wie: Was ist unser Verständnis von christlichen Werten? Das hat sehr viel mit Haltung zu tun. Auf dieser Grundlage gehen wir neue Wege und verabschieden uns bewusst vom klassischen Unterrichtsverständnis. Das ist kein leichter Schritt und lässt sich auch nicht einfach über Nacht umsetzen. Im Gegenteil: Diese neue Form des Lernens erfordert sogar deutlich mehr Struktur als ein traditioneller Frontalunterricht mit gelegentlicher Gruppenarbeit.
Das merken wir auch bei Interessierten, die unsere Schule besuchen. Sobald sie hospitieren, wird ihnen schnell bewusst, wie durchdacht und tiefgreifend unser pädagogisches Konzept ist. Es geht eben nicht darum, den Lernpartnerinnen und Lernpartner wahllos Materialien hinzulegen und sie dann sich selbst zu überlassen.

Ein zentrales Element ist dabei das veränderte Rollenverständnis. Wir sehen uns nicht als reine Wissensvermittler, sondern als Lernbegleiter. Unser Ziel ist es, die Lernenden auf ihrem individuellen Lernweg zu unterstützen, ohne ihnen etwas überzustülpen. Denn wir sind überzeugt: Jedes Kind will lernen – unsere Aufgabe ist es, den Weg dafür aufzuzeigen. Die entscheidende Frage ist also nicht nur: Was lehren wir? – sondern: Wie gestalten wir Lernen zukunftsorientiert und sinnstiftend?"
Das ist ja ziemlich einschneidend im Vergleich zum Frontalunterricht, den wohl die meisten als Bild von Schule im Kopf haben und auch aus eigener Erfahrung kennen.
Wenn ich von dem klassischen 45-Minuten-Modell der Schulstunde ausgehe, dann sitzen die Schülerinnen und Schüler nach dem klassischen Modell von der ersten bis zur sechsten Stunde an ihrem Platz – oft ohne echte Bewegungs- oder Denkpausen. Es folgt ein Fach auf das nächste: Mathe, Deutsch, Englisch… vielleicht noch eine Sportstunde zur Abwechslung. Aber im Kern ist der Ablauf strikt vorgegeben. Dabei erleben wir immer wieder, dass Lernende gerade erst richtig in einen Lernprozess eintauchen – und dann abrupt unterbrechen müssen, weil die nächste Stunde beginnt.
Die Frage ist, wie man eine Struktur schafft, dass sie selbstorganisiert weiterarbeiten können. Das ist die Kunst. Und dabei aber auch zu berücksichtigen, dass man den Lehrplan, das Curriculum, im Blick hat. Denn am Ende gibt es eben eine Prüfung, auf die wir vorbereiten müssen. Es geht also darum, einen Rahmen zu gestalten, der beides ermöglicht: individuelle Lernwege und Orientierung an verbindlichen Bildungsstandards. Unser Ziel ist es, jeden Lernpartner und jede Lernpartnerin so zu begleiten, dass es mit echter Motivation lernen kann – nicht im Takt der Schulglocke, sondern im eigenen Rhythmus. Und genau darin liegt für uns der Schlüssel für zukunftsfähige Bildung.
Im Konzept der Schule hat sich zudem die Rolle der Lehrkräfte verändert. Statt als traditionelle Lehrkraft, die Wissen direkt vermitteln, fungieren sie jetzt als Lernbegleitungen. Ihre Aufgabe ist es, die Lernpartnerinnen und Lernpartner (also die Schülerinnen und Schüler) auf ihrem individuellen Lernweg zu unterstützen, sie zu motivieren und zu begleiten. Sie sind eher Coaches als strenge Autoritäten. Sie helfen dabei, Lernziele zu setzen, Fortschritte zu überprüfen und bieten Unterstützung, wenn etwas nicht klappt. Die Lernpartner wiederum sind nicht mehr nur passive Empfänger von Wissen. Sie sind aktiv in den Lernprozess eingebunden und übernehmen Verantwortung für ihr eigenes Lernen.
Wie sind sie auf diese Art des selbstorganisierten Lernens (SOL) gekommen?
Die Idee, dass Lehren und Lernen auch ganz anders funktionieren können, war der Ausgangspunkt. Diese Frage beschäftigt mich schon seit einigen Jahren: Wie lässt sich der klassische Unterricht so aufbrechen, dass Lernende selbstständiger und motivierter lernen? Dazu lohnt sich der Blick über den Tellerrand. Schulen, die mit innovativen Konzepten ausgezeichnet wurden, bieten wertvolle Impulse. Hospitationen, Gespräche und der offene Austausch – zum Beispiel mit der Alemannenschule in Wutöschingen, wo Stefan Ruppaner als treibende Kraft gilt – zeigen, wie vielfältig Lernen gedacht werden kann. Besonders beeindruckend ist die Offenheit solcher Netzwerke: Fragen sind jederzeit willkommen, und Antworten kommen ehrlich und praxisnah. Entscheidend ist jedoch, genau hinzuschauen, was zur eigenen Schule passt. In Kalk gelten andere Voraussetzungen als im ländlichen Südschwarzwald – ob in Bezug auf den Lehrplan oder das soziale Umfeld der Kinder. Nicht alles lässt sich eins zu eins übertragen, doch viele Elemente sind übertragbar und können sinnvoll angepasst werden. Der Schlüssel liegt darin, gute Ideen weiterzudenken und sie kontextgerecht umzusetzen.
Gilt das Konzept übergreifend für Grund- und Gesamtschule?
Im Moment bezieht das Konzept sich auf die Gesamtschule. Die Grundschule auf dem Bildungscampus arbeitet jedoch ebenfalls sehr offen. Lernende, die von dort zu uns wechseln, sind bereits an freieres, selbstständigeres Arbeiten gewöhnt – für sie ist der Übergang keine große Umstellung. Oft ist es ja generell so, dass in Grundschulen offener und kindorientierter gearbeitet wird. Das Problem entsteht dann häufig beim Wechsel auf die weiterführende Schule: Dort geraten viele Schülerinnen und Schüler wieder in starre Strukturen und verlernen das, was sie zuvor an Selbstständigkeit aufgebaut haben. Genau das wollen wir hier vermeiden – indem wir an das anknüpfen, was die Kinder bereits können, und es weiterentwickeln.
Welche Merkmale machen das pädagogische Konzept näher im Detail genau aus?
Das pädagogische Konzept zeichnet sich vor allem durch das selbstorganisierte Lernen aus. Die Fächer Mathematik und Deutsch werden nicht im klassischen Klassenraum unterrichtet, sondern in offenen Lernlandschaften wie dem Lernatelier oder dem sogenannten Marktplatz.
Dort arbeiten unsere Lernpartnerinnen und Lernpartner an unterschiedlichen Materialien – individuell, in ihrem Tempo und nach klaren Strukturen. Und: Selbstorganisiertes Lernen funktioniert heute nicht ohne digitale Medien. Die Lernenden arbeiten mit Lernvideos, nutzen digitale Werkzeuge zur Vertiefung und brauchen dafür das Tablet als zentrales Lernmittel – denn differenzierte Inputphasen für alle gleichzeitig sind in diesem Konzept schlicht nicht mehr leistbar. Einmal in der Woche gibt es in Mathematik und Deutsch eine Input- oder Instruktionsstunde, in der die Fachlernbegleitung den Lernenden neue Inhalte vermittelt. Diese Stunden dienen dazu, gezielt Wissen zu vermitteln, bevor die Lernpartnerinnen und Lernpartner selbstständig weiterarbeiten und das Gelernte vertiefen können.
Ein weiteres zentrales Merkmal ist das vernetzte und erlebnisorientierte Lernen in Werkstätten wie Gesellschaftslehre und Naturwissenschaften. Hier geht es nicht nur um Theorie, sondern darum, Erfahrungen zu sammeln: rauszugehen in den Stadtteil, Verbindungen zur Lebenswelt der Lernenden zu schaffen und Kooperationen mit außerschulischen Partnern vor allem im Stadtteil einzugehen.
Schule soll eben nicht nur im Schulgebäude stattfinden. Lernen wird als aktiver, lebensnaher Prozess verstanden – mit dem Ziel, Neugier zu wecken, Selbstständigkeit zu fördern und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Ein zentraler Bestandteil unseres pädagogischen Konzepts ist die Mitbestimmung der Lernpartnerinnen und Lernpartner: Sie entscheiden mit, was sie wann und wie und in welchem Tempo sie lernen. Dabei werden sie aber keineswegs allein gelassen. Lerncoaching spielt eine entscheidende Rolle. Aktuell erhält jedes Lernenden einmal pro Woche ein individuelles Lerncoaching. In diesen Gesprächen geht es darum, gemeinsam den Wochenplan durchzugehen, persönliche Ziele zu formulieren und den Lernfortschritt zu reflektieren.
Dabei verstehen wir uns nicht als klassische Lehrerinnen und Lehrer, sondern als Lernbegleitungen. Wir helfen unseren Lernpartnerinnen und Lernpartnern, ihren Weg zu finden und geben gezielt Unterstützung – aber das Lernen selbst übernehmen die Lernpartnerinnen und Lernpartner in Eigenverantwortung. Natürlich läuft nicht jede Woche gleich: Manchmal gelingt das Lernen nicht wie geplant. Vielleicht ist zuhause etwas vorgefallen oder es fehlt gerade die Motivation. Genau dann ist die Beziehungsarbeit im Lerncoaching besonders wichtig: zuzuhören, nachzufragen, zu ermutigen und gemeinsam Lösungen zu finden. Das unterscheidet unser Verständnis von Schule ganz klar vom klassischen System. Lernen ist hier individuell, beziehungsorientiert und lebensnah.
Was genau sind das Lernatelier und der Marktplatz?
Das Lernatelier ist der zentrale Arbeitsplatz der Lernenden. Es ist so gestaltet, dass durch Trennwände kleine, ruhige Arbeitsnischen entstehen – ein bisschen wie früher in einem Sprachlabor. Jede Lernpartnerin und jeder Lernpartner hat dort die Möglichkeit, sich ganz auf seine Aufgaben zu konzentrieren, ohne abgelenkt zu werden. An den Wänden hängt der persönliche Lernplan mit den Zielen, die aktuell verfolgt werden. Auch die Graduierung – also der Lernstand– ist dort einsehbar. So wissen die Lernbegleitungen genau, was die Lernenden gerade können, was sie dürfen und wo Unterstützung nötig ist.
Im Zentrum der Lernlandschaft liegt der sogenannte Marktplatz – offen, hell und flexibel nutzbar. Im neuen Gebäude ist er so angelegt, dass er sich direkt zwischen den Lernateliers befindet und bei Bedarf sogar nach draußen erweitert werden kann. Besonders schön ist, dass es viele besondere Lernorte gibt, wie zum Beispiel unter der Treppe – Orte, die zum Verweilen, Denken oder kreativen Arbeiten einladen. Ein weiteres kleines, aber wichtiges Detail ist, dass die Lernpartnerinnen und Lernpartner im Lernatelier Hausschuhe tragen. Das macht die Atmosphäre gemütlicher und hilft, den Raum sauber zu halten. So können die Lernenden sich besser auf ihre Aufgaben konzentrieren und sich in ihrem Arbeitsbereich wohlfühlen. Genau das ist unsere Vorstellung von Lernen: Lernpartnerinnen und Lernpartner, auf die man sich verlassen kann, dürfen selbst entscheiden, wo sie am besten lernen. Sie müssen nicht starr an einem Tisch sitzen – sie sollen dort arbeiten, wo sie konzentriert und motiviert lernen können. Hauptsache, sie lernen – selbstständig, eigenverantwortlich und mit Freude.
Und was hat es mit den Werkstätten auf sich?
In unseren Werkstätten beschäftigen sich die Lernenden wöchentlich vier Stunden am Stück mit den Fächern Naturwissenschaften und Gesellschaftslehre.
Diese Stunden sind projektorientiert gestaltet, sodass die Lernpartnerinnen und Lernpartner aktiv und praxisnah lernen. Dabei geht es nicht nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern unseren Lernpartnerinnen und Lernpartnern auch die Möglichkeit zu geben, sich intensiv mit einer Fragestellung auseinanderzusetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Werkstatt „Köln - meine Heimat, meine Stadt, mein Verein.“ Hier beschäftigen sich die Lernenden nicht nur mit theoretischen Inhalten, sondern sie gehen der Frage nach wie: „Was bedeutet Heimat für mich?“ Sie lernen, was Stadtbezirke sind, erkunden ihren Stadtbezirk Kalk, lernen die Struktur einer Großstadt kennen und setzen sich mit verschiedenen Aspekten wie der Geschichte auseinander. Auch besuchen sie auch das Bezirksrathaus, um mehr über die Verwaltung und das politische Leben vor Ort zu erfahren. Es hilft mir oft wenig, das klassische Buch aufzuschlagen. Natürlich ist es im Hintergrund nützlich, aber es bringt mich nicht wirklich weiter, wenn dort zum Beispiel etwas über die Stadt Dortmund steht – und ich mich in Köln befinde. Schon seit längerem verfolge ich den Ansatz, die Lebenswirklichkeit der Lernenden aktiv in den Unterricht einzubeziehen. Es geht nicht darum, über ihre Köpfe hinweg zu unterrichten, sondern ihnen etwas näherzubringen, das sie direkt betrifft und dennoch die Kernlehrpläne bei der Umsetzung zu berücksichtigen. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Weg zum Erfolg führt.
Sie haben eben schon das Stichwort Graduierung genannt, was bedeutet das?
Ein Element des Konzepts ist die Graduierung. Alle Lernpartnerinnen und Lernpartner fangen bei uns als sogenannte „Starter“ an, wenn sie zu uns an die Schule kommen. Das bedeutet, dass sie nicht nur im Lernatelier arbeiten, sondern sich auch andere Lernräume in der Schule suchen dürfen. Sie dürfen mit ihrem Partner rausgehen – am Anfang noch sehr eng geleitet für 20 Minuten. Machen sie das alles gut, kann man das ein bisschen weiter öffnen. Sie loggen sich aus, so dass wir genau wissen, wo sie sich im Schulgebäude befinden. Das haben sie gut gelernt – wird aber natürlich nochmal anders werden, wenn wir vom Interim in das große neue Gebäude kommen.
Wenn wir merken, dass es bei einer Lernpartnerin oder einem Lernpartner nicht funktioniert, dass mehr Betreuung benötigt wird, kommt die Person in den Status „Neustarter“. Sie bleibt im Lernatelier und darf nur nach draußen gehen, wenn es die Aufgabe (z. B. eine Partnerarbeit) erfordert. Das ist keine Bestrafung, sondern eine engere Betreuung, um die Lernpartnerin oder den Lernpartner zu unterstützen. Nach drei Wochen kann sich die Lernpartnerin oder der Lernpartner wieder um den Status „Starter“ bewerben. In diesem Bewerbungsverfahren werden sie von ihren Lernbegleitungen genau beobachten. Wenn in dieser Zeit gut gelernt wurde und sich an die Lernhausregeln gehalten wurden, wird der Lernpartner oder die Lernpartnerin wieder zum „Starter“. Wichtig ist, dass niemand endgültig in einer Schublade steckt – es gibt immer die Möglichkeit zur Weiterentwicklung. Das ist das Schöne an diesem System.
Ab Klasse 7 wird es auch die Möglichkeit für die Lernpartnerinnen und Lernpartner geben, zu „Durchstartern“ zu werden. Dann dürfen sie noch mehr Bereiche nutzen und auch draußen lernen. Je mehr Freiheiten sie bekommen, desto mehr müssen sie jedoch auch für die Schule tun. Das könnte beispielsweise bedeuten, einen anderen Lernpartner oder eine andere Lernpartnerin in einem Fach zu unterstützen, bei den Streitschlichtern mitzumachen oder in der Schülervertretung aktiv zu werden. Es ist ein Geben und Nehmen, bei dem der soziale Aspekt zusätzlich in den Vordergrund gerückt wird.
Wie sieht die individuelle Begleitung weiter aus?
Die individuelle Begleitung ist ein zentraler Baustein unseres Konzepts. Dabei arbeiten wir mit drei unterschiedlichen Niveaustufen, die den Lernpartnerinnen und Lernpartnern Orientierung geben. Ausgangspunkt ist die Frage: Was muss eine Schülerin und ein Schüler am Ende von Klasse 10 mindestens können? Aus dieser Überlegung heraus wurde der sogenannte Mindeststandard definiert. Alles, was darüber hinausgeht, findet sich in den höheren Niveaustufen. Wer schneller lernt, schaut sich zuerst den Mindeststandard an, bearbeitet ihn und kann – wenn das gut klappt – die zugehörige Leistungsüberprüfung früher ablegen. Danach geht es direkt weiter mit anspruchsvolleren Aufgaben. Das wird im Lerncoaching eng begleitet. Gleichzeitig zeigt sich aber auch: Manche Lernpartner/innen glauben, sie wären schon weiter, doch im Alltag fehlen dann grundlegende Kompetenzen wie das saubere Notieren einer Aufgabe oder das Setzen eines Datums. Auch in solchen Fällen greift das Lerncoaching, denn dort wird gemeinsam reflektiert, woran es liegt und wie man gezielt daran arbeiten kann. Was uns besonders wichtig ist: Niemand wird aufgehalten, wenn er oder sie schneller lernen kann. Im Gegenteil – wer motiviert ist, darf loslegen, bekommt Freiräume und Rückmeldung. Auf der anderen Seite verlieren wir aber auch die Lernpartner/innen nicht aus dem Blick, die noch Unterstützung brauchen. Für sie gibt es gezielte Förderangebote und eine enge Begleitung, damit sie wieder Anschluss finden. Ziel ist es immer, dass jeder im eigenen Tempo lernen kann – aber nicht alleine, sondern mit Begleitung, Orientierung und Rückhalt.
Sie haben von drei Standards gesprochen ...
Genau – bei uns gibt es drei Leistungsniveaus: den Mindeststandard, den Regelstandard und den Expertenstandard. Bereits in Klasse 5 bekommen die Lernpartnerinnen und Lernpartner ein Kompetenzraster, das alle relevanten Kompetenzen eines Fachs – zum Beispiel Mathematik – für das gesamte Schuljahr auflistet. Diese Kompetenzen sind direkt mit passenden Materialpaketen hinterlegt, die eigenständig bearbeitet werden können.
Jeder Standard wird mit einem Test abgeschlossen. Den Mindeststandard bearbeiten alle gemeinsam in Form einer Klassenarbeit – das ist das Fundament, das jede und jeder können muss. Danach besteht die Möglichkeit, selbstständig weiterzuarbeiten und in den nächsten Standard überzugehen. Die Leistungsbewertung auf dem Zeugnis setzt sich aus den Komponenten zusammen: aus den Ergebnissen der Klassenarbeiten und aus dem Umfang und der Qualität der bearbeiteten Materialpakete sowie den sonstigen Leistungen.
Wichtig ist dabei auch: Die drei Standards sind nicht gleichzusetzen mit dem dreigliedrigen Schulsystem: Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Das ist ein völlig anderer Gedanke. Ziel ist, jedem Lernenden den Zugang zu allen Standards zu ermöglichen, aber ohne Zwang. Entscheidend ist: Alle sollen den Mindeststandard erreichen – das ist die gemeinsame Basis. Alles darüber hinaus ist individuell und orientiert sich an Motivation, Tempo und Unterstützung.
Die Standards gleichen sie mit den Lehrplänen ab?
Genau. Dahinter steht das Curriculum, so dass wir die Bildungsstandards einhalten. Man muss nur sehr genau überlegen, was man in den Mindeststandard hineinnimmt und was nicht. Das ist die Aufgabe der Fachschaften.
Sehen sie bezüglich der Graduierungen und der verschiedenen Standards eventuell eine Gefahr der Diskriminierung?
Das ist eine berechtigte und interessante Frage – und vielleicht wird sie in Zukunft nochmal relevanter. Aktuell erleben wir jedoch keine Form von Diskriminierung durch die Graduierungen oder die unterschiedlichen Standards. Im Gegenteil: Die meisten Lernpartnerinnen und Lernpartner empfinden es als Motivation, zum Beispiel vom „Neustarter“ wieder zum „Starter“ zu werden – oder sogar später zum „Durchstarter“.
Das Ganze ist ein transparenter, fairer Prozess, der entwicklungsorientiert und nicht bewertend angelegt ist. Natürlich: Wenn jemand sehr lange in einem bestimmten Status bleibt, könnte das auf Dauer eine Herausforderung werden – nicht nur für den Lernpartner oder die Lernpartnerin selbst, sondern auch für die pädagogische Begleitung. Aber auch hier greifen die Beziehungsarbeit und das Lerncoaching, um zu reflektieren, woran es liegt und wie Unterstützung aussehen kann. Was wir bislang beobachten, ist eher das Gegenteil von Ausgrenzung: Die Lernenden stärken sich gegenseitig, freuen sich ehrlich für andere, wenn sie den nächsten Schritt geschafft haben, und lernen Verantwortung füreinander zu übernehmen. Das System hat sich bisher sehr gut bewährt, um Motivation, Selbstverantwortung und soziales Lernen zu fördern – ohne den Druck von „oben herab“.
Das System fordert viel von den Lernbegleitern. Werden die besonders geschult?
Ja, das System stellt tatsächlich hohe Anforderungen an die Lernbegleitungen – aber genau das ist auch Teil unseres Verständnisses von moderner Schule. Neue Kolleginnen und Kollegen werden vor dem Einstieg ins Lerncoaching begleitet und vorbereitet. Es geht dabei nicht darum, therapeutisch zu arbeiten, sondern in einem kurzen, regelmäßigen Gespräch eine individuelle Verbindung zum Lernenden aufzubauen: Wie geht es dir? Woran arbeitest du gerade? Was klappt gut – wo brauchst du Unterstützung? Was sind deine Ziele in der kommenden Woche? Auch ganz praktische Dinge spielen eine Rolle, wie z. B. gemeinsam die Mappe durchzugehen. Lerncoaching ist eine Mischung aus Beziehungsarbeit, Organisation und Reflexion.
Damit das gelingt, stehen die Klassenleitungen und das Kollegium eng im Austausch. Wenn z. B. auffällt, dass ein Lernpartner ein bestimmtes Paket nicht schafft, wird das zurückgemeldet, und gemeinsam mit der Lernbegleitung wird überlegt: Was braucht es jetzt, damit das Lernenden erfolgreich weiterarbeiten kann? Das Ziel ist dabei immer: nicht nur bestehen, sondern wirklich verstehen.
Spielen die Eltern auch eine Rolle in dem Konzept?
Ja, die Eltern spielen eine große Rolle im Konzept – denn ohne sie funktioniert so ein System nicht gut. Es braucht zunächst einmal viel Vertrauen, dass wir als Schule den Lernprozess der Kinder auch wirklich im Blick haben. Gerade zu Beginn gab es viele Fragen: „Mein Kind plant seinen Unterricht selbst?“ oder „Die Klassenarbeiten werden nicht alle gleichzeitig geschrieben?“ – das wirkt erstmal ungewohnt. Deshalb ist es wichtig, offen und transparent zu kommunizieren und die Eltern mitzunehmen. Die Rückmeldungen auf den Elternsprechtagen waren durchweg positiv: Die Lernpartnerinnen und Lernpartner wirken weniger gestresst, kommen gerne in die Schule – und das sehen auch die Eltern. Perspektivisch bekommen wir auch eine digitale Plattform, über die Eltern Einblick in Materialien und Lernfortschritte erhalten können.
Darüber hinaus wünschen wir uns die Eltern auch als aktive Partner: Wenn jemand Experte für ein bestimmtes Thema ist, soll er oder sie sich gerne einbringen – z. B. in Projekten oder Werkstätten. Und wenn mal etwas nicht rund läuft, sage ich immer: Bitte sofort ansprechen. Direkter Austausch ist uns lieber, als wenn Unzufriedenheit im Hintergrund bleibt. Zudem werden sie auch aktiv in Gremien des Schullebens eingebunden – etwa in der Schulpflegschaft oder bei projektbezogenen Arbeitsgruppen. So entsteht eine echte Bildungspartnerschaft, bei der Eltern nicht nur informieren, sondern mitgestalten können. Ihre Perspektive ist für uns wertvoll, weil sie die Sichtweise von außen mit einbringen und dabei helfen, Schule weiterzuentwickeln
Die Plattform ist ein Computerprogramm, eine Software?
Genau. Die Plattform, die wir nutzen, heißt DiLer – das steht für „Digitale Lernumgebung“. So können wir das selbstorganisierte Lernen strukturieren und begleiten. Dort werden alle Materialien hochgeladen, Lernpläne hinterlegt, Lerntagebuchgespräche dokumentiert und individuelle Lernverläufe festgehalten. Für die Eltern gibt es freigeschaltete Bereiche, in denen sie Einblick in den Lernstand ihrer Kinder bekommen und wichtige Termine oder Informationen einsehen können.
Ein weiterer großer Vorteil von DiLer ist, dass sich die Inhalte der Plattform in verschiedene Sprachen übersetzen lassen. So können auch Eltern, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, nachvollziehen, was ihr Kind lernt, welche Aufgaben anstehen und wie der aktuelle Lernstand ist. Das erleichtert die Elternarbeit enorm, fördert die Transparenz und trägt dazu bei, dass alle Familien – unabhängig von ihrer Herkunftssprache – besser eingebunden werden.
Spielt in dem Konzept das Thema Religion auch eine Rolle?
Ja, in unserem Konzept spielt das Thema Religion eine wichtige Rolle, insbesondere im interreligiösen Kontext. Da viele der Lernpartnerinnen und Lernpartner unterschiedliche religiöse Hintergründe haben, ist es uns wichtig, den interreligiösen Dialog zu fördern und ein Verständnis für die Vielfalt der Religionen zu entwickeln. Wir schaffen Raum, um über verschiedene religiöse Perspektiven zu sprechen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen und den respektvollen Umgang miteinander zu stärken. Dieses Verständnis trägt zur Förderung einer offenen, toleranten und respektvollen Schulgemeinschaft bei.
Seit diesem Schuljahr läuft jetzt die Gesamtschule und auch das Arbeiten nach dem pädagogischen Konzept. Sind sie mit den bisherigen Erfahrungen zufrieden?
Wir sind mitten im Prozess – und das ist auch genau richtig so. Viele Kolleginnen und Kollegen kommen aus klassischen Schulsystemen, in denen klassisch unterrichtet wurde. Jetzt geht es darum, Schritt für Schritt umzudenken und das Konzept so weiterzuentwickeln, dass es zu unserem Standort passt – vor allem zu den unseren Lernpartnerinnen und Lernpartnern.

Ich bin sehr froh, dass wir bereits im Interimsgebäude mit dem Konzept starten konnten. Im neuen Gebäude können wir es nun wirklich mit Leben füllen. Wichtig ist aber vor allem die innere Haltung: den Mut zu haben, loszulegen und sich von eingefahrenen Denkweisen zu lösen. Ich bin fest überzeugt: Das wird richtig gut.
Nehmen sie auch bei den Kindern schon die Vorfreude wahr auf das neue Gebäude, den Umzug?
Oh ja, auf jeden Fall! Die Lernpartnerinnen und Lernpartner können es kaum erwarten. Sie freuen sich besonders auf die neue Sporthalle und das großzügige Außengelände. Viele haben mich schon gefragt: „Wie sieht es denn da aus?“ Und ich habe ihnen gesagt: „Es wird richtig schön!“ Man merkt richtig, wie die Spannung und die Vorfreude steigen. Auch im Kollegium ist die Motivation groß. Wir alle teilen die Vision, wohin wir mit unserer Schule wollen – und das neue Gebäude gibt uns die Möglichkeit, diesen Weg noch besser umzusetzen.
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