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Gespräch mit Schwester Christina von der Obdachlosenseelsorge "Gubbio":Obdachlose: Was wird getan, was kann man tun – gerade im Winter?

Schwester Christina, Gubbio, Obdachlosenseelsorge
Datum:
15. Dez. 2023
Von:
Newsdesk; sth
Gespräch mit Schwester Christina von der Obdachlosenseelsorge "Gubbio"

Köln. Obdachlose sind auch in den nordrhein-westfälischen Großstädten schon länger keine "Randerscheinung" mehr. Sie gehören inzwischen zum Straßenbild der Innenstädte. Dennoch sitzen oder liegen sie oft am Rand. Man sieht sie und geht manches Mal vorbei, mit einem mehr oder weniger schlechten Gewissen. Es ist klar: Diese Menschen brauchen Hilfe. Aber wie kann man ihnen helfen? In der kalten Jahreszeit stellt sich diese Frage noch drängender. Schwester Christina von der Obdachlosenseelsorge "Gubbio" gibt einen Einblick in die Welt der Menschen, die (fast) nichts mehr haben und im Winter besonders leiden.

Schwester Christina, Sie kümmern sich mit der Obdachlosenseelsorge "Gubbio" um Obdachlose in Köln. Wie viele Obdachlose gibt es da zurzeit etwa?

In Köln gibt es rund 8000 Wohnungslose. Das heißt aber nicht, dass alle auf der Straße sind. Das sind zum großen Teil Menschen, die keinen eigenen Mietvertrag haben, die von der Stadt in sogenannten Hotels untergebracht werden oder in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe. Die Wohnungslosen leben bei Familienangehörigen, Freunden. Frauen sind in ungute Beziehungen untergetaucht. Circa 500 Menschen sind auf der Straße, das sind die sogenannten Obdachlosen.

„Hotels“ klingt eigentlich ganz gut ...

Diese Hotels sind keine Hotels, wie wir sie kennen, sondern mehr oder weniger einfache Zimmer. Es gibt da selten Einzelzimmer. Die Konstellation der Bewohner passt oft nicht zusammen: Ein trockener Alkoholiker zum Beispiel mit einem, der permanent trinkt. Drogen und psychische Auffälligkeiten sind nicht selten. Da leben einige Wohnungslose lieber auf der Straße. Die Drogensüchtigen müssen auch draußen sein, um mit ihren Dealern Kontakt zu halten. Sie sind permanent in Action, um ihren Stoff zu bekommen.

Durch Alkohol und Drogen wird der innere Schmerz abgetötet, und das führt zur absoluten Verwahrlosung.

Drogenabhängigkeit ist also vielfach ein Grund für Obdachlosigkeit?

Gründe von Obdachlosigkeit sind Alkoholsucht, Drogensucht, Verschuldung, Probleme im privaten Bereich und Krankheiten, besonders im psychischen Bereich. Ein großes Problem ist die Drogensucht. Durch Alkohol und Drogen wird der innere Schmerz abgetötet, und das führt zur absoluten Verwahrlosung.

Und die Betroffenen können oft nicht weiter denken und handeln als: Ich muss den nächsten Stoff den Alkohol haben.

Gibt es weitere herausstechende Gründe für Obdachlosigkeit?

Eine andere Gruppe sind Leute mit Migrationshintergrund, zum Beispiel aus Rumänien. Die bekommen hier wahrscheinlich mehr Geld zusammen als sie es in ihrem Heimatland je verdienen könnten. Viele Menschen wollten eigentlich in Deutschland arbeiten und sich ein besseres Leben in ihren Heimatländern aufbauen. Dann habe sie oft illegal gearbeitet. Das ist dann aufgeflogen oder sie hatten einen Arbeitsunfall. Zurück in ihr Heimatland wollten sie dann nicht mehr.

Hat das Problem der Obdachlosigkeit zugenommen?

Ja. Man sieht es unter anderem daran: Der Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) vergibt Postadressen für Obdachlose und Wohnungslose, die sind total überlaufen. Ich sehe auch künftig noch mehr auf uns zukommen. Es gibt keinen bezahlbaren Wohnraum. Die Mieten werden immer höher, die Lebensmittelpreise und Energiekosten steigen.

Wer ist denn eigentlich "zuständig" für die Obdachlosen?

Die Stadt Köln hat die Pflicht, sich um diese Menschen zu kümmern, und sie ist nach meinem Eindruck auch besser aufgestellt als andere Städte. Es gibt zum Beispiel für Leute mit Migrationshintergrund eine Unterkunft mit 120 Plätzen in der Vorgebirgstraße, die vom SKM getragen wird. Es gibt Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die auch die Sprachen können.

Was tut das Erzbistum Köln?

Das Thema wird gesehen und wir haben mit Weihbischof Ansgar Puff, der in der Obdachlosenseelsorge mitarbeitet, einen guten Fürsprecher. Das Erzbistum bezahlt halbe Stellen. Vom Generalvikariat, der Abteilung Diakonische Pastoral, und vom Gesamtverband der der katholischen Kirchengemeinden der Stadt Köln werden wir sehr unterstützt. Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit.

Zum Thema „Winter“: Wird da etwas Besonderes für die Obdachlosen getan?

Meine Vorgängerin hat zum Beispiel das "Nacht-Café" ins Leben gerufen. Das ist eine Einrichtung, die vom 1. November bis zum 31. März Menschen in den verschiedenen Pfarrzentren aufnimmt, damit sie nicht im Freien übernachten müssen. Verschiedene Pfarrgemeinden sind dabei. An drei Nächten ist das Nachtcafé hier in der Kirche. Es gibt eine große Zahl von Ehrenamtlichen, die bereit sind, ein Abendessen vorzubereiten, im Gubbio zu übernachten und dafür zu sorgen, dass die Obdachlosen in Ruhe schlafen können und sie morgens noch ein kleines Frühstück bekommen. Das geschieht immer im Team und wird angeleitet.

Die Mitarbeitenden im Nacht-Café sagen sehr oft, dass sie durch diese Begegnung mit Wohnungslosen für sich selbst eine gute und wichtige persönliche Erfahrung gemacht haben.

Der SKM ist da auch sehr engagiert. In der Ostmerheimer Straße gibt es eine Einrichtung, wo die Menschen Tag und Nacht bleiben können.

Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung der Obdachlosen aus?

Es gibt in Köln vier Hausärzte für die Obdachlosen, sehr engagierte Ärzte vom Gesundheitsamt. Die sind offiziell mit der Aufgabe betraut und gehen auch in die Einrichtungen der Obdachlosenhilfe.

Was für Möglichkeiten haben Obdachlose, etwas für die Hygiene zu tun?

Beim SKM am Bahnhof und bei der " Überlebensstation für Obdachlose Gulliver – Kalz e.V." können sie duschen für kleines Geld. Wir kaufen und verteilen manchmal Gutscheine von Gulliver, da können Obdachlose dann hingehen, duschen und mal ein Frühstück oder ein warmes Mittagessen bekommen. Gerade Obdachlose, die neu in Köln sind, haben dann auch gleich ein Umfeld, wo sie bleiben können. Es gibt dort Sanitäranlagen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter als Ansprechpartner.

Gulliver ist eine Einrichtung an der Tunnelröhre der Nord-Süd-Fahrt, eine Station für Obdachlose. Da gibt es soziale Beratung, da gibt es Duschen, da sind Toiletten, da wird gekocht – auch von Obdachlosen. Am Bahnhof ist der SKM mit einer Einrichtung vertreten, zu der wir auch einen sehr guten Kontakt haben, wo man auch essen kann, soziale Beratung hat, duschen kann. Leute, die drogenabhängig sind, bekommen dort ärztliche Versorgung.

Wie sieht Ihre Tätigkeit generell aus?

Gubbio ist eine Kirche im Zentrum von Köln, die zum ehemaligen Franziskanerkloster in der Ulrichgasse gehörte, und die das Erzbistum Köln für die Arbeit mit Obdachlosen zur Verfügung gestellt hat. Dort leiten Pastoralreferent Stefan Burtscher und ich die Seelsorge für Wohnungslose.

Im Innenraum der Kirche haben wir alle Kirchenbänke entfernt und stattdessen Tische und Stühle hingestellt; denn wir wollten auch während der Corona-Pandemie das Gubbio als Begegnungsort offenhalten und konnten das nur, wenn die Menschen einen entsprechenden Abstand voneinander halten konnten. Den Altarraum haben wir aber als liturgischen Raum mit Altar, Tabernakel usw. belassen.

Im Gubbio gibt es zweimal pro Woche nachmittags die Möglichkeit, dass sich Menschen, die auf der Straße leben, treffen und Unterstützung finden. Dabei geht es immer um Leib und Seele, um beides. Es gibt darum immer etwas zu essen: Brote und Kaffee, Kuchen oder manchmal etwas Warmes; und es gibt immer einen geistlichen Impuls, eine Heilige Messe oder das Angebot "Auszeit bei Gott": Stille – Musik – Impuls.

Mittwochs kommt die Tafel hierher und bringt Lebensmittel. Das Angebot wird dankbar angenommen. Dann kommen viele Besucher. Mit dem katholischen Bildungswerk Köln zusammen bieten wir Glaubensgespräche an über religiöse Themen, die die Wohnungslosen bewegen. Eine Besonderheit sind die jährlichen Exerzitien oder Wallfahrten. Das sind absolute Highlights.

Schlafplatz Obdachloser Köln

Das zweite Arbeitsfeld ist die aufsuchende Seelsorge. Meine Aufgabe ist es unter anderem, an drei Tagen auf die Straße zu gehen. Montag, Donnerstag und Freitag bin ich unterwegs, um die Obdachlosen zu besuchen. Hauptsächlich bin ich am Bahnhof unterwegs. Die meisten kennen mich. Da setze ich mich dazu und frage, wie es den Menschen geht. Manchmal reden wir über Alltägliches und manchmal sind es tiefere Gespräche.

Einmal in der Woche gehe ich abends zum Appellhofplatz zur Essensausgabe. Wenn es dunkel wird, ist es nochmal für die Obdachlosen eine gute Zeit, um alles auszusprechen was sie so bewegt an Freude, Frust oder über das, was sie so über Wasser hält.

Das Thema "Gott" oder "Religion" ist also präsent bei den Obdachlosen?

Unsere Gäste sind ziemlich schnell bereit, über Gott zu sprechen. Sie erzählen natürlich von Alltäglichkeiten, aber auch etwas über ihr Glaubensleben und wie Gott sie durch ihr Leben getragen hat. Sie fragen mich auch, ob ich an Gott glaube. Manchmal sagen sie, sie selbst glauben zwar nicht, aber ich solle doch mal für sie beten.

Ich erinnere mich an eine Frau, die ich bei 30 Grad Hitze in einem absolut gesundheitlichen desolaten Zustand getroffen habe. Ich fragte: Kann ich für Sie etwas Gutes tun? Sie wünschte sich ein Spaghetti-Eis. Natürlich bin ich mit ihr dann ein Eis essen gegangen. Und dann haben wir eine halbe Stunde lang über Gott geredet. So wie sie ihren Glauben ausgedrückt hat, kommt das unserem Glaubensbekenntnis sehr nah. Tief beindruckt war ich von diesem Gespräch. Manchmal wünschen sich Obdachlose auch einen Rosenkranz oder die Heilige Schrift – zum Festhalten.

Gerade der Winter ist für Obdachlose eine schwierige Zeit. Wenn man einen Obdachlosen sieht, sollte man schon mal hingehen und nachsehen, wie es ihm geht.

Was kann jeder für einen Obdachlosen tun?

Beim Vorbeigehen schauen, wie es ihm geht, und „Hallo“ sagen – das ist das Wichtigste. Selbst, wenn man keine Zeit hat, sollte man Blickkontakt aufnehmen. Wenn jemand abgewandt irgendwo liegt, sollte man ihn eher in Ruhe lassen, denn das ist sein privater Ort. Ich schaue aber trotzdem mal drüber, wie es ihm geht.

Man muss bedenken, dass Obdachlose in der Nacht nicht richtig schlafen. Es gibt eine Geräuschkulisse, es gibt die Angst. Obdachlose werden in der Nacht oft getreten. Besonders in der Nacht von Freitag auf Samstag, wenn alkoholisierte Leute unterwegs sind. Sie werden getreten, mit Farbe bespritzt, angesteckt. Es ist absoluter Wahnsinn, was sie auszuhalten haben. Manche benutzen keine Schlafsäcke mehr, denn man kommt ja da gar nicht so schnell raus. Lieber nehmen sie Decken, damit sie verschwinden können. Das ist eine wahre Katastrophe. Gott sei Dank gibt es auch Mitbürgerinnen und Mitbürger, die schnell eingreifen.

Wenn man sieht, dass jemand vor Kälte zittert, dann ist es wichtig, dass man ihm etwas zu Essen gibt. Natürlich nur, wenn es erwünscht ist. Wenn man Geld gibt, dann gehört das den Obdachlosen, und dann sollen sie auch damit machen können, was sie möchten. Gerade der Winter ist für Obdachlose eine schwierige Zeit. Wenn man einen Obdachlosen sieht, sollte man schon mal hingehen und nachsehen, wie es ihm geht. Oder man ruft das Winterhilfetelefon des SKM an.

Grundsätzlich sollte man etwas tun, wenn man denkt, da ist irgendetwas nicht in Ordnung. Die Notrufnummer 112 kann man das ganze Jahr über anrufen.

Wer sich noch mehr engagieren will, der kann das zum Beispiel beim genannten "Nacht-Café" tun. Finanziell kann man sich zum Beispiel bei unserer kürzlich gegründeten "Pace e bene"-Stiftung einbringen.

Zum Schluss die – vielleicht naive – Frage: Kann man das Problem der Obdachlosigkeit nicht lösen? 

Wir müssen es aushalten. Es gibt Initiativen, die Obdachlosigkeit abschaffen wollen, und es ist ja auch im Grunde ein unhaltbarer Zustand. Aber es kann keiner etwas machen. Viele Obdachlose passen einfach nicht in das System. Die Leute brauchen eigentlich irgendetwas, was es nicht gibt. Es ist auch meine Aufgabe, das Elend auszuhalten und im Gebet vor Gott zu bringen. Das ist nicht immer einfach. Was wir machen, ist ein Tropfen auf den heißen Stein, aber vielleicht ist dieser Tropfen ja doch wichtig. Wir können das Problem der Obdachlosigkeit nicht beseitigen. Aber vielleicht bringen wir den betroffenen Menschen doch etwas. Es geht darum, zu sagen und zu leben: Gott liebt Dich, so wie Du bist!

Schwester Christina, Gubbio, Obdachlosenseelsorge

Über Schwester Christina 

Schwester Christina Klein ist in der Diaspora Mecklenburg-Vorpommerns geboren. Mit Drogen und Armut hatte sie lange Zeit ihres Lebens nichts zu tun. Einem sicheren, heilen Familienleben auf der einen Seite stand eine einseitig sozialistische Schulbildung auf der anderen Seite gegenüber. Das Katholischsein war exotisch. Obdachlosigkeit war in der Öffentlichkeit nur ein Thema als Kennzeichen des Kapitalismus. „Wenn jemand mir damals gesagt hätte, ich bin irgendwann mal auf den Straßen von Köln unterwegs und kümmere mich um Obdachlose, hätte ich es nicht geglaubt“, sagt sie.

Schwester Christina hat eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht und darüber die Olper Franziskanerinnen kennengelernt. 1981 ist sie in den Orden eingetreten, 1990 nach Bonn gekommen und hat im Kinderkrankenhaus gearbeitet. Dann machte sie an der Fachschule für Sozialpädagogik noch die Ausbildung zur Erzieherin. Jahrelang hat sie in verschiedenen Kindergärten gearbeitet.

Zu Gast bei Mitschwestern in Köln, lernte sie das erste Mal das „Notel Köln“, eine Notschlafstelle für Drogenabhängige kennen. „Ich fand das gar nicht so schlimm, auch, dass da Drogenabhängige waren. Die waren total freundlich.“  Acht Jahre hat sie in St. Severin gearbeitet, und als eine Mitschwester starb, fragte man sie, ob sie deren Arbeit übernehmen möchte. „Und da habe ich ja gesagt und mache das jetzt seit viereinhalb Jahren sehr gern.“

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