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Fange bescheiden an

Text Fange bescheiden an

Fange bescheiden an

Elf Regeln zum Beten in säkularer Zeit

Religion erweist sich im Tun. Dazu gehören vor allem die Feier des Geheimnisses Gottes sowie eine persönliche Frömmigkeit, das Gebet. Es ist der Versuch, mit dem göttlichen Geheimnis in einen Dialog zu treten. Der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky hat (in "Imprimatur" 5/6, 2000) aus christlicher Sicht elf Regeln vorgeschlagen, wie man angesichts einer immer säkularer werdenden Welt zum regelmäßigen Gebet finden kann.

  1.  Entschließe dich zu einem bescheidenen Vorhaben auf dem Weg zu religiöser Aufmerksamkeit (so übersetze ich Spiritualität), zum Gebet oder zur Meditation! Der bescheidene Anfang schützt vor der Selbstentmutigung durch zu große Vorhaben. Ein solcher bescheidener Schritt könnte sein, am Morgen oder am Abend einen Psalm in Ruhe zu beten; sich einige Minuten für eine Lesung freizuhalten, in einer kurzen Zeit den Lesungen des Tages seine Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn dies nicht möglich ist, liegt es nicht an der Hektik und der Überlast unseres Berufes, sondern daran, dass wir falsch leben.
  2.  Gib deinem Vorhaben eine feste Zeit! Bete nicht nur, wenn es dir danach zumute ist, sondern wenn es Zeit dazu ist. Regelmäßig beachtete Zeiten sind Rhythmen, Rhythmen sind gegliederte Zeiten. Erst gegliederte Zeiten sind erträgliche Zeiten. Lineare und nicht gegliederte Zeiten sind öde und schwer erträglich.
  3.  Gib deinem Vorhaben einen festen Ort! Orte sprechen und bauen an unserer Innerlichkeit.
  4.  Sei im bescheidenen Vorhaben streng mit dir selber! Mache deine Gestimmtheit und deine augenblicklichen Bedürfnisse nicht zum Maßstab deines Handelns! Stimmungen und Augenblicksbedürfnisse sind zwielichtig. Die Beachtung von Zeiten, Orten und Methoden reinigt das Herz.
  5.  Rechne nicht damit, dass dein Vorhaben ein Seelenbad ist! Es ist Arbeit - Labor!, manchmal schön und erfüllend, oft langweilig und trocken. Das Gefühl innerer Erfülltheit rechtfertigt die Sache nicht, das Gefühl innerer Leere verurteilt sie nicht. Meditieren, Beten, Lesen sind Bildungsvorgänge. Bildung ist ein langfristiges Unternehmen.
  6.  Sei nicht auf Erfüllung aus, sei vielmehr dankbar für geglückte Halbheit! Es gibt Ganzheitszwänge, die unsere Handlungen lähmen und uns entmutigen.
  7.  Beten und Meditieren sind kein Nachdenken. Es sind Stellen hoher Passivität. Man sieht die Bilder eines Psalmes oder eines Bibelverses und lässt sie behutsam bei sich verweilen. Meditieren und Beten heißt frei werden vom Jagen, Beabsichtigen und Fassen. Man will nichts außer kommen lassen, was kommen will. Man ist Gastgeber der Bilder. Setze den Texten und Bildern nichts entgegen! Überliefere dich ihrer Kraft, und lass dich von ihnen ziehen! Sich nicht wehren und nicht besitzen wollen ist die hohe Kunst eines meditativen Verhaltens.
  8.  Lerne Formeln und kurze Sätze aus dem Gebets- und Bildschatz der Tradition auswendig! (Psalmverse, Bibelverse ..). Wiederholte Formeln wiegen dich in den Geist der Bilder. Sie verhelfen uns zur Passivität. Sie sind außerdem die Notsprache, wenn einem das Leben die Sprache verschlägt. Sie sind wie ein Balken, an den man sich nach einem Schiffbruch klammert. Wir verantworten ihren Inhalt nicht, denn wir sprechen sie mit der Zunge der toten und lebenden Geschwister.
  9.  Wenn du zu Zeiten nicht beten kannst, lass es! Aber halte den Platz frei für das Gebet, das heißt tue nicht irgend etwas anderes, sondern verhalte dich auf andere Weise still! Lies, setze dich einfach ruhig hin! Verlerne deinen Ort nicht!
  10.  Sei nicht gewaltsam mit dir selbst! Zwinge dich nicht zur Gesammeltheit! Wie fast alle Unternehmungen ist auch dieses brüchig, es soll uns der Humor über dem Misslingen nicht verloren gehen. Auch das Misslingen ist unsere Schwester und nicht unser Todfeind.
  11.  Birg deinen Versuch in den Satz von Römer 8: "Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, wie wir beten sollen, wie sich's gebührt. Sondern der Geist tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen." Wir bezeugen uns nicht selber. Der Geist gibt Zeugnis unserem Geist. Wir sind besetzt von einer Stimme, die mehr Sprache hat als wir selber.

 

Fulbert Steffensky

Gefunden in: Christ in der Gegenwart Nr. 40/00, 324