Der Kanun

Kanun

In den albanischen Gebirgen konnte sich keine Regierung des Landes behaupten. Die Berg­bewohner lebten nach einem eigenen Gewohnheits­recht, dem Kanun, den es in verschiedenen Aus­prägungen gab und noch heute gibt.

In der nord­albanischen Gebirgs­region Mirditë, zu der auch Pfarrer Marxens Gemeinde Perlat gehört, hat sich der Kanun des Lekë Dukagjini aus­geprägt. Er fußt auf dem natur­nahen, stammes­organi­sierten Leben der Berg­bewohner und auf ihrem katholischen Glauben.

Verschriftlichung und Übersetzung

Der Kanun wurde in Albanien lange nur mündlich weiter­gegeben, bis es schließlich doch schrift­liche Aufzeich­nungen zunächst zu einzelnen Kapiteln des Kanun gab.

Eine Über­setzung aller Kapitel ins Deutsche nahm in der ersten Hälfte des 20. Jh. Marie Amelie Freiin von Godin vor, eine unverhei­ratete Adelige aus München, welche viel Zeit mit Reisen nach Albanien verbrachte und die Josef Marxen auf Anraten seines Seminar­leiters aufsuchte, um von ihr etwas über sein zukünftiges Missions­land zu erfahren.

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Themen des Kanun

Wichtige Themen des Kanun sind

  • die Regelung des Familienlebens,
  • die Rechte der Kirche und des Pfarrers,
  • eine Strafgerichtsbarkeit,
  • der Handel,
  • Regeln für die Jagd und Fischerei,
  • Grenzen und Straßen
  • sowie Aufgaben bestimmter Berufsgruppen (Schmiede, Müller).
  • Umfangreiche Regeln finden sich zu den Fragen des Beeidens, der Ehre und des Blutes:
    Die sog. „Blutnahme“ (Blutrache) wird geregelt, nach der ein Mord an einem Mann mit einem Mord an einem männlichen Mitglied der Täter­familie geahndet werden darf.

Nach dem Empfinden der meisten Albaner ist das wichtigste Thema des Kanun die Ehre. Insbeson­dere dem Gast muss Ehre erwiesen werden, die Gast­freund­schaft ist auf viel­fältige Weise als verbind­liches Gebot fest­geschrie­ben.

Was wiegt mehr: Blutnahme oder Gastfreundschaft?

Die Pflicht zur Gast­freund­schaft übertrifft dabei das Recht auf das Ahnden eines Mordes: „Betritt der Gast dein Haus und schuldet er dir Blut, so wirst du ihm sagen: Gut, dass du kamst.“ Dem Gast, der einmal ins Haus gebeten wurde, muss für die Dauer seines Aufent­haltes jede Annehm­lichkeit erwie­sen werden, selbst wenn er sich als Feind der Familie erwei­sen sollte.

Heutige Bedeutung

Einige Punkte des Kanun gelten den Bergbewohnern auch heute noch als Grundsätze für ihr Leben. Die Frage der Vereinbarkeit mit staatlichen Gesetzen, aber auch mit kirchlichen Geboten wird kritisch diskutiert.