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Jahresempfang 2015

Jahresempfang 2015

Jahresempfang 2015


20 Jahre sind vergangen, seit Kardinal Meisner zum 1.1.1995 Prälat Dr. Günter Assenmacher zum Leiter des kirchlichen Gerichtes (Offizialat) des Erzbistums Köln ernannte.

 

Vor der Frage, in welcher Form und in welchem Rahmen Bericht über die Tätigkeit dieser Behörde erstattet werden sollte, kam diesem alsbald der Gedanke: Was in Rom recht ist, könnte für Köln billig sein. Wie der Papst zu Anfang eines jeden Jahres die Richter und Mitarbeiter der Rota Romana in einer besonderen Audienz empfängt und dabei eine jeweils aufmerksam kommentierte Ansprache hält, so ähnlich könnte doch auch der Erzbischof einmal im Jahr für eine Stunde bei jenen Mitarbeitern sein, denen er die kirchliche Rechtspflege für sein Bistum übertragen hat.

 

Kardinal Meisner ging zum Teil auf diesen Vorschlag ein. Er hielt zwar keine richtungsweisenden Ansprachen für die Rechtsprechung, aber er fand immer Worte der Anerkennung und Motivierung für die Mitarbeiter. Und: Nur zwei Mal in den zurückliegenden 20 Jahren verhinderten höherrangige Pflichten in Rom seine Teilnahme in Köln. So wurde der "Richtertag" zu einer geschätzten Tradition, die am 2.2.2015 der neue Erzbischof zur großen Freude aller Beteiligten fortsetzte.

 

Kardinal Woelki, der aus seinen Jahren als Erzbischöflicher Kaplan natürlich um diesen Termin im Kalender des Erz­bischofs wusste, war doch überrascht, wie viele Personen ihn im Pius-Saal des Priesterseminars erwarteten.

 

Jahresempfang 2015

 

Neben dem Offizial und seinen vier Stellvertretern verzeichnet der Personalschematismus derzeit 3 Diözesanrichterinnen und 25 Diözesanrichter, von denen 6 hauptamtlich tätig sind. Ehren- oder nebenamtlich übernehmen 7 Vernehmungs­richterinnen und -richter Befragungen vor Ort, 4 Mitarbeiterinnen und 1 Mitarbeiter üben das Amt der Eheband­verteidigung aus, 6 Damen, davon 2 in Essen, sind zuständig für das Sekretariat bzw. die Protokoll- und Akten­führung und andere Büroarbeiten, insgesamt also 50 Personen.

Zuständigkeiten


Nun erstreckt sich seit dem 1.5.2009 die Zuständigkeit des Kölner Offizialates auch auf den Bereich der Diözese Essen. Das bis dahin selbständige Offizialat dort wurde zu einer "Außenstelle" für das Kölner Offizialat, weil – wie es in der amtlichen Begründung heißt – "der übergroße Priestermangel" es dem Essener Bischof nicht mehr erlaubte, einen eigenen Offizial zu ernennen. Die zunächst auf fünf Jahre befristete Lösung wurde 2014 auf Antrag des Bischofs von Essen im Einvernehmen mit dem Erzbischof von Köln durch die Apostolische Signatur um weitere zehn Jahre bis zum 30.4.2024 verlängert.

 

Eine andere Lösung wurde 2010 für das Bistum Limburg gefunden: Mit Erlaubnis des zuständigen „Höchsten Gerichtes der Apostolischen Signatur“, dem die weltweite kirchliche Gerichtsaufsicht obliegt, wurde zum 1.1.2010 der Kölner Offizial auch Offizial für das Bistum an der Lahn. Auch diese Regelung wurde im November 2013 durch die Bischofskongregation für fünf Jahre fortgeschrieben.

 

Nicht nur im Bereich der Pfarrseelsorge hat es also in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen gegeben, sondern notgedrungen auch in der Organisation der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Unser Mitarbeiter Prof. Dr. Matthias Pulte hat darüber einen eigenen Aufsatz publiziert: Trifft der Strukturwandel in den deutschen Diözesen auch die kirchliche Gerichtsbarkeit?, in: DPM 17/18 (2010/11) 223-239.

Schwerpunkt


Eindeutiger Schwerpunkt der Arbeit des Offizialates, von dem auch die Aufgabe der Geschäftsstelle für die arbeitsrechtlichen Instanzen wahrgenommen wird, sind die Eheprozesse. In diesen wird auf Antrag wenigstens eines der Ehepartner untersucht, ob die betreffende Ehe ungültig geschlossen wurde und so deren Nichtigkeit festgestellt werden kann.

 

In anderen Verfahren wird untersucht, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, dem Papst die Auflösung einer nichtsakramentalen Ehe "zugunsten des Glaubens" bzw. einer zwar gültig geschlossenen, aber nicht vollzogenen Ehe zu empfehlen.

 

Am Kölner Offizialat sind derzeit auch wegen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche vier Strafverfahren anhängig, die der Apostolische Stuhl dem Offizialat zugewiesen hat.

Zahlen


140 Personen suchten 2014 in Köln, 42 in Essen Rat, ob für sie ein Eheverfahren in Frage kommt. Diese „Beratungsgespräche“ stellen einen wichtigen Anteil der Arbeit des Offizialates dar, sie können kurzfristig vereinbart werden und sind kostenlos.

 

Insgesamt 101 neue Verfahren wurden 2014 anhängig gemacht.

 

265 Verfahren insgesamt konnten im Laufe des Jahres 2014 in Köln abgeschlossen werden: 132 in I., 108 in II. und 4 in III. Instanz; 21 Spezialverfahren (Privilegium fidei oder Inkonsummation) wurden für die Entscheidung durch den Papst in Rom vorbereitet.

"An der Peripherie"


Nicht nur diese Zahlen präsentierte und kommentierte Prälat Dr. Assenmacher beim Richtertag. Unter der Überschrift „An der Peripherie“ erörterte er die Stellung der kirchlichen Gerichtsbarkeit in der Gesamtproblematik der vielen Menschen, deren Ehe gescheitert ist, und die ungeachtet der Frage des fortbestehenden Ehebandes neu heiraten.

 

Ganz richtig, so unterstrich er, stellt die Deutsche Bischofskonferenz [in ihrer Zusammen­fassung der Antworten aus den deutschen Bistümern auf die Fragen im Vorbereitungs­dokument für die Dritte Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode 2014 (Nr. 4.f)] fest: "… Die meisten Katholiken, deren Ehen gescheitert sind, [befassen] sich nicht mit der Frage der Gültigkeit, weil sie ihre langjährige Ehe nicht als 'nichtig', sondern als gescheitert betrachten. Ein Verfahren der Annullierung wird daher oft als unehrlich empfunden. Sie erwarten, dass die Kirche ihnen – etwa nach der Praxis der orthodoxen Kirchen – einen Neuanfang in einer Beziehung ermöglicht." (Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung – Texte zur Bischofssynode 2014 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz = Arbeitshilfen Nr. 273, S. 26)

 

Aber: Kann man es bei dieser Feststellung belassen und ohne jede Stellungnahme fortfahren: "Für einen kleineren Teil der Betroffenen könnte das kirchenrechtliche Ehenichtigkeitsverfahren zur Lösung ihrer Probleme beitragen, wenn das Verfahren zeitig gestrafft, vereinfacht und durch eine pastorale Begleitung ergänzt wird."?

 

Wenn im Jahr 2014 am Kölner Offizialat 101 neue Verfahren angestrengt wurden, betrifft dies unmittelbar 202 Personen. Diese Zahl, die verschwindend gering erscheint, müsste die Verantwortlichen beunruhigen. Es ist zu fragen: Warum wenden sich nicht mehr Betroffene an die kirchlichen Gerichte? 40.500 Ehen wurden im Jahr 2013 in NRW von den zivilen Gerichten geschieden. Legt man eine Quote von 30% Katholiken in der Bevölkerung zugrunde, wären von diesen geschiedenen Ehen wenigstens 24.300 katholische Christen betroffen.

 

Wenn überhaupt, dann wie setzt sich die übergroße Zahl von Betroffenen, die die Frage der Gültigkeit ihrer Ehe nicht interessiert, mit dem Scheitern auseinander? Haben die Menschen, die das kirchliche Verfahren "oft als unehrlich empfinden", überhaupt eine zutreffende Vorstellung davon, oder sind es Vorurteile, die sie wiedergeben? Werden die Gläubigen auf die Möglichkeit dieses Weges von den Priestern, Diakonen und anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Seelsorge hingewiesen und ermutigt, sich zumindest sachkundig beraten zu lassen? Oder werden vielerorts längst andere "Lösungen" praktiziert, und wenn ja, mit welcher Autorität und um welchen Preis?

 

Jedenfalls rechtfertigt die prima vista so gering erscheinende Zahl der kirchlichen Eheverfahren nicht, dass in der öffentlichen Diskussion weithin von der Arbeit der kirchlichen Gerichte kaum mehr oder nur noch negativ die Rede ist. Es ist doch seltsam, dass - soweit hier bekannt ist - jedenfalls in der öffentlichen Diskussion im Vorfeld der Bischofssynode niemand die Erfahrungen der kirchlichen Gerichte abgerufen hat.

 

Die Prinzipien, an denen sich die kirchliche Gerichtsbarkeit orientiert, beinhalten Unaufgebbares: Dass wir Menschen nicht nur geprägt sind von einer Sehnsucht nach umfassender Begegnung mit einem anderen Menschen, sondern auch dazu fähig, uns für ein Leben lang an ihn zu binden; dass aus dieser Bindung zweier Personen etwas für sie Unverfügbares erwächst, eine Verbindlichkeit, aus der weder sie selbst noch jemand anders sie ohne weiteres entlassen kann; dass diese lebenslange Bindung zunächst einmal keine Fessel ist, keine Utopie, sondern eine Hoffnung, der Gott seine Gnade zusagt und die Möglichkeit des Gelingens; dass Treue ein Wesenselement dieser Form von Beziehung ist; dass es anzuerkennen gilt, dass die Gemeinschaft von Mann und Frau nicht gestört oder beeinträchtigt wird, wenn aus dem Paar eine Familie wird – im Gegenteil: Auch darauf ist die Ehe angelegt.

 

Was die Brautpaare sich bei Heirat versprechen, ist nicht etwas, was dem Menschen fern liegt, etwas ihm Wesens­fremdes, ein Joch, das er auf sich nimmt, ein Überbau, eine Ideologie, sondern Gegenstand seiner tiefsten Sehnsucht.

 

Es gilt nicht nur, wie im Kontext der vorsynodalen Befragungen bis zum Übermaß getan, den "unbefangenen Blick auf die Wirklichkeit der Verhältnisse" zu reklamieren und "Wertschätzung" als Imperativ noch und noch zu unterstreichen, sondern auch den Anspruch von Gottes Wort und Weisung zu wahren.

 

Die Ehe als Sakrament zu leben, heißt nicht weniger, als sich dem Diktat zu verweigern, dass man unbedingt und um jeden Preis glücklich sein muss; es bedeutet vielmehr, bei der legitimen Suche nach dem persönlichen Glück auch die "Zumutungen" auszuhalten, die ein Mensch immer für den anderen Menschen bedeutet; ernst damit zu machen, was man für "gute und böse Tage" versprochen hat; unbeirrbar dem Ehegatten den Platz freizuhalten, selbst wenn dieser weggegangen ist; nichts von dem Versprechen zurückzunehmen, das man dem anderen gegeben hat und so in unserer Welt ganz handfest erfahrbar zu machen, dass Gott uns an seiner Liebe teilhaben lässt, die wirklich unerschütterlich ist.

 

Kardinal Woelki bedankte sich in seiner Antwort auf die Ansprache des Offizials für dessen 20-jährige Tätigkeit am Ehegericht. Keine Personalentscheidung am Anfang seiner Tätigkeit sei ihm so leicht gefallen wie die Ernennung des Generalvikars und die Bestätigung des Offizials. Er dankte auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre sicherlich nicht einfache Aufgabe, Tag für Tag die Lebensgeschichten anderer Menschen anzuhören und sich damit beschäftigen zu müssen, mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, ihren Neuanfängen und ihren Fragen nach ihrer Stellung in der Kirche. Bei allem Mitgefühl für den einzelnen und sein Schicksal erinnere er sich immer an ein Wort von Kardinal Höffner: Kein Bischof, kein Konzil und kein Papst habe die Vollmacht, das Wort Jesu umzudeuten: "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen."

 

 

Prälat Dr. Günter Assenmacher

Erzbischöflicher Offizial