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Der Himmel steht offen, oder: Bayern in Bonn – die Deckengestaltung der St. Michaelskapelle in Bonn-Bad Godesberg

Deckengestaltung der St. Michaelskapelle in Bonn-Bad Godesberg
Datum:
2. Jan. 2023
Objekt des Monats – Januar 2023

Gewölbe mit Stuckaturen und Freskomalereien, 1697-1700
Baumeister: wohl Antonio Riva
Stuckarbeiten: Giovanni Pietro Castelli
Deckengemälde: Johann Schießel

Es gibt viele Möglichkeiten und Materialien, mit denen man einen Raum nach oben abschließen kann. Die Barockzeit aber hat es geschafft, bei gleichzeitigem Verschluss den Raum nach oben zu öffnen und gleichsam den Himmel auf die Erde zu holen. Einen Eindruck hiervon vermitteln die beiden aus Tannenbrettern[i] bestehenden Gewölbe der kurz nach 1660 wiedererrichteten[ii] und 1697-1700 mit einer neuen Ausstattung versehenen St. Michaelskapelle auf dem Godesberg. 

Der Kapellenraum ist zweigeteilt: An einen tonnengewölbten Saal schließt sich im Osten ein querrechteckiges Chorhaus mit achtteiligem Klostergewölbe an. Das Gewölbe des Saals zeigt in reichen Stuckarbeiten vollplastische Engelsfiguren mit tiefblauen Pupillen neben flach ausgeführten Ornamentfeldern mit Akanthusdekor, Muschel- und Farnornamenten. In den vier identischen ovalen Feldern erkennt man oben ein Dreieck als Symbol der Dreifaltigkeit. Darunter befinden sich sieben scheibenartige Strukturen, die auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes verweisen. Von ihnen gehen nach unten Strahlenbündel aus, die in eine Wolkenwand münden, vor der fünf geflügelte Engelsköpfe zu schweben scheinen.

Die qualitätvollen Stuckaturen bilden den Rahmen für vier mittig angeordnete Freskomalereien, die alle die himmlische Sphäre durch Wolken und Engel andeuten. Die beiden runden Bilder, die von stuckierten Engeln gehalten werden, zeigen

- Engel am Altar, den in einer Monstranz gezeigten Leib Christi verehrend
und
- Maria, die in den Himmel aufgenommen und mit Lorbeer bekrönt wird, umgeben von Engeln

Die beiden anderen Deckengemälde (Quadrate mit abgerundeten Ecken) thematisieren das Weiterleben der Seele nach dem Tod. Dies ist als Hinweis auf den Erzengel Michael zu deuten, da dieser als Anführer der himmlischen Heerscharen und als Seelenwäger am Tag des Jüngsten Gerichts, der die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits geleitet, verehrt wird: 

- Engel reichen einem Sterbenden das Viaticum, also die heilige Kommunion, als Wegzehrung
und 
- Engel bringen einen Sarg herbei und befreien eine Seele aus dem Fegefeuer. 

Zum Chorhaus vermittelt ein Triumphbogen, in dessen Mitte Engel eine Kartusche mit dem Wappen des Bauherrn der Kapelle, Erzbischof und Kurfürst Joseph Clemens von Bayern (1671-1723) halten. Das achtteilige Klostergewölbe dieses Raumteils ist in vier breite und vier schmale Zwickelfelder eingeteilt, die von Profilleisten und Lorbeerblattketten gerahmt werden. Die schmaleren Zwickelfelder sind mit Stuckgehängen versehen, in denen man die Symbole der Michaelsbruderschaft und des Michaelsordens erkennen kann. In den breiten Zwickelfeldern präsentieren jeweils zwei Engel, weitere Symbole von Michaelsorden und –bruderschaft in den Händen halten, ein Medaillon mit Freskomalerei, das auf einem Podest aus zwei aufgerollten Voluten über Akanthusblättern aufsitzt. In ihnen stellen mit unterschiedlichen Attributen versehene weibliche Allegorien die Haupttugenden des Michaelsordens und der Bruderschaft dar:

1. Fidelitas (Treue) mit einem Schlüssel,
2. Fortitudo (Stärke/Tapferkeit) mit einem Löwen,
3. Pietas (Frömmigkeit) mit Flügeln und einem Füllhorn,
4. Perseverantia (Beständigkeit/Beharrlichkeit), mit einem Kronreif in der Hand (halb vom Altarauszug verdeckt).

An der Gestaltung der Gewölbe, die man erst fast 40 Jahre nach der Wiederherstellung der Kapelle einzog, waren ein Architekt und zwei Künstler beteiligt. Bei dem Architekten handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Graubündner Baumeister Antonio Riva, einen Experten im Umbau von Kirchenräumen.[iii] Riva hatte bereits an der Münchner Residenz der bayerischen Kurfürsten und an der Lütticher Residenz Joseph Clemens‘ gearbeitet. Die Stuckarbeiten schuf der aus Melide am Luganer See stammenden und in München ausgebildete Giovanni Pietro Castelli in den Jahren 1698/1699. Dieser arbeitete zeitgleich an der 1777 durch einen Brand zerstörten Kapelle des Bonner Residenzschlosses. Die Stuckarbeiten der St. Michaelskapelle können daher einen ungefähren Eindruck von der ursprünglichen Raumwirkung des Bonner Schlosses vermitteln. 

Die Gewölbemalereien schuf 1699/1700 Johann Schießel, von dessen Leben und Wirken nur sehr wenig überliefert ist. Alle Gewölbemalereien wurden 1895/1896 von dem Aachener Maler Carl Thiel restauriert und so stark überarbeitet, dass ihre heutige Wirkung leider nicht mehr der ursprünglichen entspricht. 

Durch das Heranziehen der mit der Architektur Münchens vertrauten Antonio Riva und Giovanni Pietro Castelli wurde ein allgemeiner formaler Bezug zur bayerischen Hauptstadt und insbesondere zur dortigen Michaelskirche (der Grablege der Wittelsbacher) hergestellt. Auf diesem Weg konnte ein Stück Bayern nach Bonn übertragen werden – ganz im Sinne des aus Bayern stammenden Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Joseph Clemens, der 1693 den Orden vom Heiligen Michael[iv] und die heute noch bestehenden Erzbruderschaft St. Michael gegründet hatte. Durch die von ihm initiierten umfassenden baulichen Veränderungen der Michaelskapelle gab er ihr ein barockes Gepräge und schuf ein „äußerst anspruchsvolles Raumkunstwerk“[v], bei dem der Deckengestaltung eine große Bedeutung zukommt. Ihr Bildprogramm, das scheinbar Einblicke in den geöffneten Himmel erlaubt, verweist auf den heiligen Michael und den nach ihm benannten Orden (und die Bruderschaft). Das Gewölbe verschmilzt mit den drei Altären optisch zu einer Einheit - es entsteht so der Eindruck, als seien diese vom Himmel aus auf die Erde gestellt worden.  

Der hohe kunsthistorische Rang dieser Ausstattung liegt vor allem darin begründet, dass außer ihr kein weiteres Zeugnis für den Stil der sakralen kurkölnischen Hofkunst des ausgehenden 17. Jahrhunderts erhalten ist. 


Carsten Schmalstieg


Das Team der Inventarisierung im Erzbistum Köln wünscht Ihnen einen gelungenen Jahresauftakt 2023, Gesundheit und Gottes reichsten Segen.

Literatur

Hansmann, Wilfried: Die Bau- und Kunstgeschichte. In: Höroldt, Dietrich, Bonn als kurkölnische Haupt- und Residenzstadt, Bonn 1989 (= Geschichte der Stadt Bonn, Band 3), S. 351-448 (ebd. S. 369f.: Die Michaelskapelle in Bad Godesberg).

Krohn, Vanessa: Die Neuausstattung der Michaelskapelle auf dem Godesberg unter Erzbischof Joseph Clemens von Bayern. In: Godesberger Heimatblätter, Heft 52 (2014), S. 111-140.

Krohn, Vanessa: Pietas Bavarica am Rhein. Die kirchliche Bau- und Ausstattungstätigkeit im Erzbistum Köln unter Joseph Clemens und Clemens August von Bayern. Münster 2019 (= Tholos Kunsthistorische Studien, herausgegeben von Georg Satzinger, Band 10.1).

Schloßmacher, Norbert: Michaelskapelle und Marienkirche in Bonn-Bad Godesberg. Köln 2000 (= Rheinische Kunststätten, Heft 454). 

Schloßmacher, Norbert: Die Michaelskapelle in Bonn-Bad Godesberg. Herausgegeben vom Förderverein Michaelskapelle zu Bad Godesberg e.V. Bonn 2018.


[i] Krohn 2019, S. 231
[ii] Die Kapelle war 1583 zeitgleich mit der Sprengung der Godesburg beschädigt worden. Der genaue Grad der Beschädigung ist allerdings unbekannt. 
[iii] Krohn 2014, S. 121f.
[iv] Der Orden wurde 1693 als Ritterorden vom Heiligen Michael von Joseph Clemens von Bayern als wittelsbachisch-kurkölnischer geistlicher und Hausritterorden gegründet; Joseph Clemens war sein erster Großmeister. Seit 1808 bestand er im Königreich Bayern fort und wurde 1837 in den Verdienstorden vom Heiligen Michael umgewandelt, der bis zum Ende der Monarchie in Bayern 1918 verliehen wurde.
[v] Krohn 2014, S. 139.