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Eine Predigt mit Folgen: Die Bedeutung des Wortes "fringsen"

Die Bedeutung des Wortes "fringsen"

Vor 75 Jahren an Silvester 1946

Die handschriftliche Vorlage der Silvesterpredigt 1646 von Kardinal Frings
Die handschriftliche Vorlage der Silvesterpredigt 1646 von Kardinal Frings

Bitte: „Es gilt das gesprochene Wort“ - dieser Satz begleitet die Ansprachen hoher Persönlichkeiten, die vorab an Berichterstatter ausgeteilt werden. Von der nachfolgend betrachteten Ansprache gibt es indes kein Tonzeugnis, sondern nur ein schwer zu lesendes handschriftliches Konzept und einen nachträglich erschienenen Druck. Die Rede selbst wirkte wie ein Donnerhall. Unzählige Menschen beziehen sich noch heute auf sie. Worum geht es?

Silvester 1946 hielt der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings in St. Engelbert in Köln-Riehl seine Jahresendpredigt. Seit Wochen war es eiskalt in Deutschland, ein Ende des strengen Winters nicht abzusehen. Hunderttausende Menschen lebten in den Ruinen ihrer Häuser, die Lebensmittel waren knapp, Kohlen und andere Brennstoffe für die Öfen kaum zu bekommen, die politische, moralische und allgemeine Lage miserabel. Frings predigte unter anderem über die zehn Gebote. Zum 7. Gebot (Du sollst nicht stehlen) sagte er zum Entsetzen der britischen Besatzungsmacht: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder Bitten, nicht erlangen kann“. Einige Sätze später folgte die Mahnung, den eventuellen Schadensersatz dafür nicht zu vergessen.

Die Folgen sind bekannt. Menschen, die etwa Briketts von Eisenbahnzügen oder Lebensmittel stahlen, um nicht zu erfrieren und zu verhungern, sahen sich nun moralisch bestärkt. Die Worte des Erzbischofs schienen ihnen eine Rechtfertigung für die Entwendung von Eigentum, die strafrechtlich im damals noch geltenden „Mundraub“-Paragraphen 370 StGB behandelt war. Offenbar - genau geklärt ist das nicht - nahmen die Kohlendiebstähle Anfang 1947 deutlich zu. Schnell kam für „Kohlenklau“ das Wort „fringsen“ auf, und dieses Kunstwort fand später sogar Eingang in ein „Lexikon der Umgangssprache“. Es ist bis heute gut bekannt.

Im Historischen Archiv des Erzbistums Köln existiert die handschriftliche Vorlage der Predigt. Die Blätter sind ein sehr authentisches und wahrhaft schwieriges Dokument der Zeitgeschichte! Die Handschrift ist schwer zu lesen, die Worte sind eng geschrieben und durch Streichungen und Zusätze selbst für einen Frings-Kenner kaum entzifferbar. Keine Äußerung steht näher zum Thema „fringsen“ als diese Predigtvorlage. Ganz deutlich wird, dass Frings seine Äußerungen nicht zufällig tat, sondern dass er sehr mit den Formulierungen gerungen hat.

Die gravierenden Konsequenzen, der Streit mit den Behörden, seine durch das Wort „fringsen“ angedeutete Popularität im Volk, haben Frings zeitlebens darüber nachdenken lassen, ob seine Wortwahl Silvester 1946 wohl die richtige gewesen sei.

Josef van Elten