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Deutsche Priester studieren im Kriegsgefangenen-Lager in England

Deutsche Priester begannen Theologiestudium im Kriegsgefangenen-Lager in England

Aus dem Nachlass des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Frings wurde das Bild von seinem Besuch im Kriegsgefangenenlager in Colchester/Essex am 26. September 1946 erstmals im Ausstellungskatalog zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 1987 veröffentlicht. Dass es neben dem bekannten französischen „Stacheldrahtseminar“ in Chartres auch ein „Theologenlager“ für katholische Soldaten in der Kriegsgefangenschaft in England ab 1945 gegeben hat, war bisher weder in zeitgeschichtlichen Publikationen bekannt noch im Internet zu ermitteln. Erst die Übergabe eines kleinen Teilnachlasses des „Koordinators“ der Freunde des Colchester-Seminars, des 1997 verstorbenen Kölner/Essener Priesters Dr. h. c. Alfred Schilling, ermöglicht als unerwartete Bereicherung der Forschung durch einen Priesternachlass dazu nähere Angaben zu machen.

Im Frühjahr 1945 waren durch Entgegenkommen der englischen Militärverwaltung die kriegsgefangenen Theologiestudenten aus den englischen Gefangenenlagern in dem Camp 186 in Colchester zusammengefasst worden, um eine Fortsetzung ihres Theologiestudiums zu ermöglichen. Unter einfachsten Umständen, ohne Bücher, Hefte und Professoren, wurde ein geregelter Lehrbetrieb aufgebaut, in dem die höheren Semester aus dem Gedächtnis heraus den Lehrstoff in den einzelnen theologischen Disziplinen zusammensuchten. Alfred Schilling z. B. erteilte Hebräisch-Unterricht. Die für die Kriegsgefangenen und das theologische Studium notwendige geistliche Begleitung übernahm nebenberuflich in seiner Freizeit der am Oscott-College in Birmingham lehrende Prof. H. Francis Davis, dem es gelang bei den rund 150 Theologiestudenten geistliche Autorität und hohes Ansehen zu gewinnen. Als Erzbischof Kardinal Frings 1946 deutsche Kriegsgefangenen-Lager in England besuchte, wurde bei seinem Besuch im Theologen-Camp in Colchester dieses Foto gemacht. Mit der von ihm erreichten schnellen Entlassung deutscher Kriegsgefangener schrumpfte die Zahl der Theologiestudenten im „Colchester-Seminar“, so dass 1947 der Lehrbetrieb eingestellt wurde.

Als ab 1984 unter Dr. Alfred Schillings die „Colestrianertreffen“ intensiver aufgenommen wurden, flogen die aktiven Mitglieder 1986 zur Beisetzung ihres geehrten Freundes Father Davis nach Birmingham. Das bisher letzte Treffen war 2009 in Bad Honnef. Im „Colchesterbrief Juli 97“ findet sich die Feststellung: „Wir alle empfanden zwar diesen Betrieb als unzureichend. In der Rückschau sehe ich das ganz anders: Es war eine großartige und im höchsten Maß verantwortungsvolle Leistung unserer Kameraden und der englischen Helfer“.

Reimund Haas