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Beihilfe zu Suizid (individuell, organisiert)

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Beihilfe zum Suizid

In der Situation, in der ein schwerkranker Mensch angesichts der Last seines Leidens seinem Leben ein Ende setzen will, ist der Betroffene dazu aber oft gar nicht mehr allein in der Lage. Außerdem wünschen sich Menschen, gerade in dieser Situation nicht allein zu sein, sondern begleitet zu werden.

Für eine Beihilfe zum Suizid kommen drei Personengruppen in Frage: Angehörige, Ärzte und Sterbehilfeorganisationen. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid ist wegen der Standesethik der Ärzte gesondert zu betrachten und wird deshalb in einem eigenen Abschnitt behandelt.

Bei der ethischen Bewertung der Beihilfe zum Suizid ist es von zentraler Bedeutung, dass der Suizidwillige bis zuletzt selbst entscheidet, ob und wann er das tödliche Präparat einnimmt oder nicht. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Tötung auf Verlangen, bei der eine andere Person die Tötungshandlung vollzieht.

In seiner Stellungnahme „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ differenziert der nationale Ethikrat zwischen individueller, organisierter und gewinnorientierter Beihilfe zum Suizid:

Die individuelle Beihilfe zum Suizid sei wie der Suizid zu bewerten: „Wenn man den Suizid unter bestimmten Bedingungen für vertretbar hält oder sich zumindest einer moralischen Verurteilung enthält, wird man auch eine Handlung, die den Suizidenten bei der Tat unterstützt, etwa indem sie ihm geeignete Mittel verschafft, nicht schlechthin verwerfen.“ (Vgl. Nat. Ethikrat, S.84) So plädiert die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder dafür, dass die Beihilfe einer Person zur Selbsttötung eines Menschen auch künftig straflos bleibt.

Wie jemand, dem bei einem geplanten Suizid als Angehöriger die Rolle des Assistenten zukommt, seine Tat ethisch rechtfertigen könnte oder nicht, wird weder als eigene Fragestellung aufgeworfen noch diskutiert. Ist die Berufung auf die Selbstbestimmung des Suizidenten ausreichend? Inwiefern kann der Entschluss des Sterbewilligen auf seine Freiwilligkeit hin überprüft werden, wenn es sich nicht um Ärzte, sondern um Freunde und Verwandte handelt? Wann muss ein „Helfer“ wach sein und den Wunsch nach Suizid erkennen und wie könnte gerechtfertigt werden, ihm zu entsprechen?

Die organisierte Beihilfe zum Suizid wurde durch Gesundheitsminister Gröhe (CDU) jüngst im Bundestag thematisiert. Er fordert ein Verbot jeglicher organisierter Selbsttötungshilfe. Die beide Schweizer Vereine „EXIT“ und „Dignitas“ bieten für ihre Mitglieder laut Satzung die Beihilfe zu Suizid als Dienstleistung an. (Der Verein EXIT bietet seine Unterstützung nur Schweizer Bürgern an. Der Verein „Dignitas“ ermöglicht auch Nicht-Schweizern Begleitung bei schwerer, aussichtsloser Krankheit und damit verbundenem schweren Leiden. In der Schweiz ist die Verschreibung eines tödlichen Medikaments rechtlich möglich, so dass eine Rechtsgrundlage für einen begleiteten Suizid besteht. Der 2005 gegründete Verein „Dignitas Deutschland“ vermittelt Sterbewilligen Kontakte zu Ärzten in der Schweiz.) Beide Vereine verschaffen ihren Mitgliedern Zugang zu ärztlich verschriebenen tödlich wirkenden Medikamenten. Dazu müssen vorliegen: die Entscheidungsfähigkeit des Suizidwilligen, ein dauerhafter Todeswunsch und eine hoffnungslose Prognose, unerträgliche Beschwerden oder eine unzumutbare Behinderung. Auch wenn die Mitwirkung des Arztes und des Suizidbegleiters vergütet werden, darf der Verein keinen Gewinn machen.

Im Blick auf die ethische Bewertung der organisierten Suizidbeihilfe zeichnen sich zwei Argumentationslinien ab:

 

Contra

  • Vermittlung von Suizidbeihilfe durch Organisationen wird grundsätzlich abgelehnt. Beihilfe zum Suizid durch Vereine verleihe dem Angebot den Anschein der Normalität und setze die Schwelle des Suizidtabus in der Gesellschaft außerordentlich herab.
  • Der Suizid lege sich somit für suizidgefährdete Menschen als Möglichkeit immer stärker nahe.
  • Eine in Folge zunehmende soziale und kulturelle Akzeptanz dieser Organisationen führe dazu, dass die Gesellschaft den Schutzauftrag gegen suizidgefährdeten Menschen nicht mehr erfüllen.
  • Die Vertreter dieser Position argumentieren, „für solche Art der Hilfeleistung im Einzelfall kämen jedoch allenfalls nahestehende Personen oder Freunde in Betracht.“ (Vgl. Nat. Ethikrat, S.89)

Pro

  • Organisationen können dazu beitragen, dass die Rahmenbedingungen der Suizidbeihilfe transparent gestaltet und kontrollierbar werden. Dies könne im letzten auch bedeuten, dass z.B. eine angemessene Betreuung der Patienten besser gewährleistet sei.
  • Das Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid sei nicht gerechtfertigt angesichts dessen, dass im Ergebnis suizidwillige Patienten sich selber oder überforderten Angehörigen zu überlassen sind. Solange Patienten nicht auf professionelle Suizidhilfe durch ihre Ärzte rechnen können, soll Suizidbeihilfe durch spezialisierte Organisationen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.
  • Ein Großteil der Menschen, die sich bei den Vereinen die Möglichkeit zum begleiteten Suizid verschafft haben, nimmt dies gar nicht in Anspruch und verstirbt an der vorliegenden Erkrankung. Der Verein Dignitas verweist darauf, dass 70% der Menschen, denen nach dem Durchlaufen des Verfahrens der Freitod offen steht, sich nie wieder melden, weiter 16% nehmen diesen Weg ebenfalls nicht in Anspruch. Dignitas betrachtet die eigene Arbeit als wirksame Suizid-Prophylaxe.

In der Gesellschaft besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass eine gewerbsmäßig gewinnorientierte Suizidbeihilfe (sei sie individuell oder in organisierter Form) ethisch nicht akzeptabel ist. Eine Kommerzialisierung sei nötigenfalls sogar strafrechtlich zu verbieten. Bei dem Versuch, die Gesetzeslage zu ändern, ist in der vergangenen Legislaturperiode die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gescheitert. Hintergrund war die Absicht der CDU, die organisierte Sterbehilfe grundsätzlich zu verbieten, nicht nur die mit der Absicht, Gewinne zu erzielen.

 

Beihilfe zum Suizid - ethische Diskussion

Die Unterscheidung des Ethikrates in individuelle, organisierte und gewinnorientierte Beihilfe zum Suizid spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Im Zentrum des Interesses steht eher die recht lösungsorientierte Frage der Umsetzung. Der Tod als Lösung wird dabei nicht hinterfragt. Leid und schwere Erkrankung scheinen hier per se alles Handeln zu seiner Erlösung zu rechtfertigen.

Die Stimmen, die für Menschen eintreten, die an Krankheiten mit unerträglichen Schmerzen und Einschränkungen leiden und ihr Leben beenden wollen, haben für viele Menschen eine hohe Plausibilität.

Als besonders bedrängend erlebt wird die empfundene Not und Verzweiflung darüber, dass diese Personen – gerade wenn sie im hohen Alter sind - einen würdevollen Umgang entbehren müssen. Die Rahmenbedingungen und Ressourcen in den Einrichtungen (Personalmangel, Zeitmangel in Pflegeheimen), Überforderungssituationen in Familien führen dazu, dass längst nicht alle Menschen sich so umsorgt und angenommen erleben, wie es Hospizbewegung und Palliativmedizin anstreben. Immer noch leiden zu viele Menschen an Schmerzen, die behandelbar wären.

Namhafte Vertreter der Palliativmedizin berichten, dass der Wunsch zu Sterben nicht zwingend den sofortigen eigenen Tod meint, sondern vor allem das Ende unerträglichen Leidens.

Befragungen im Oregon/USA (Jox, S. 173) ergaben drei Motivgruppen beim Wunsch nach assistierten Suizid:

  • der Wunsch nach Kontrolle der Todesumstände, nach Selbstbestimmung bis zuletzt und einem Sterben zu Hause;
  • die Erfahrung des Verlustes von Selbstständigkeit und Würde;
  • die Angst vor künftigen Schmerzen oder anderen leidvollen Symptomen.

Palliativmediziner weisen darauf hin, dass einem geäußerten Wunsch nach dem Sterben mit großer Wertschätzung und Zurückhaltung begegnet werden muss, denn er stellt einen Vertrauensbeweis dar. Werturteile und Besserwisserei übersehen die Nöte des Betreffenden. Der Wunsch zu Sterben darf nicht tabuisiert werden. Es ist vielmehr wünschenswert, wenn es gelingt, über diesen Wunsch ins Gespräch zu kommen und die Hintergründe Motivationen, Ängste und Bedürfnisse) des Patienten zu erfahren, die zum Todeswunsch führen. Im vertrauensvollen Gespräch kann sich zeigen, dass der Todeswunsch „Ausdruck einer Ambivalenz“ (Vgl. hier und für die folgenden Zitate: Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zum assistierten Suizid) sein kann. Es können „parallel zwei Hoffnungen – Hoffnung auf ein baldiges Ende und Hoffnung auf mehr Leben – nebeneinander bestehen“. Beides denken und ausdrücken zu können, kann für den Patienten und sein Umfeld eine große Entlastung sein und der Beziehung Professionelle – Patient eine neue Qualität verleihen.

In der Diskussion spielt aber ein weiterer Standpunkt eine wichtige Rolle. Mit Blick auf ihre Zukunft argumentieren viele Menschen, sie empfänden Pflegebedürftigkeit, Demenz, Hinfälligkeit und Gebrechlichkeit als menschenunwürdig und möchten selber entscheiden, wann das Leben endet. Diese zweite Position wird von Menschen vertreten, die mithilfe des assistierten Suizids Vorsorge vor dem Eintritt leidvoller und unerträglicher Belastungen treffen wollen. Ein wichtiger Begriff in der Argumentation ist die „Würde“, die mit Eintreten dieser Belastungen kleiner würde. Hier beginnt sich eine Tendenz ab zu zeichnen, die verleugnet, dass Leiden und Krankheit zum menschlichen Leben dazugehören und bewältigt werden müssen. Ist es nicht Ausdruck der Verabsolutierung von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, wenn Schwäche und Hilfsbedürftigkeit als derart unerträglich empfunden werden, dass ihnen der Tod vorgezogen wird?

 

Beihilfe zum Suizid – Theologische Argumentation

Auch wenn die Beihilfe zum Suizid juristisch nicht geahndet wird, verurteilt die katholische Moraltheologie ein solches Tun scharf.

„Von den anderen ist jeder Sterbende als der zu achten, der sein Sterben selbst lebt. Deshalb kann auch beim Sterben eines Menschen alle Hilfe nur Lebenshilfe sein. Die Hilfe im Sterben, derer der Betroffene angesichts der Einsamkeit des Todes bedarf, besteht folglich in intensiver Zuwendung und in bestmöglicher ärztlicher Versorgung und Pflege. Sie will ihm darin beistehen, dass er sein körperliches Leiden ertragen und den bevorstehenden Tod selbst annehmen kann.“ (“Gott ist ein Freund des Lebens“, S. 16)

„Nicht Hilfe zum Sterben, sondern Hilfe im Sterben sind wir dem Kranken schuldig.“ („Das Lebensrecht des Menschen und die Euthanasie“, S.16)

„Alle Teilnahme an der Krankheit und am Leiden eines Sterbenden wird darauf zielen, gemeinsam mit ihm herauszufinden, was sein Leben auch unter Einschränkungen, die im auferlegt sind, in der ihm noch verbliebenen Spanne Zeit lebenswert und sinnvoll macht. Alles Bestreben und Gutzureden wird ihm nahebringen wollen, dass sein Leben wie das jedes Menschen, und sei es auch noch so behindert, für andere bedeutsam und wichtig ist.“ („Gott ist ein Freund des Lebens“, S.20)

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Broschüre: Sterbebegleitung und Sterbehilfe

In unserer Argumentationshilfe finden Sie zunächst eine Klärung der Begriffe und die rechtliche Einordnung. | mehr...