Altern und Reifen

Altern, Reifen und geistlich Wachsen

Autor: Dr. Burkhard R. Knipping

 

Einer der Pioniere der Altersfrage ist der Aachener Jesuit Piet van Breemen. Er schreibt 2004 in seinem Buch „Alt werden als geistlicher Weg": „Die Alten haben ihren unersetzlichen Platz in der Gesellschaft." (S. 32). Diesen Platz aber müssen die Alten bzw. die Männer suchen und finden. Das ist nicht leicht.

 

„dass des jetzt so hart wird"

„Als i noch unterrichtet hab, da war ois in Ordnung, aber jetzt wo i dahoam bin – weißt, Matze, manchmal hob i grad das G'fühl, dass i stör. Wos immer i mach im Haus: 's folsch! ..."
Das Zitat aus dem Unterhaltungsroman „Hummeldumm" vom Kölner Autor Tommi Jaud zeigt: Welcher Platz und welche Rolle bleibt für den Mann in seinem Zuhause, wenn er nur noch zu Haus ist? Denn Mann hat zig Jahre lang jeden Tag 8 bis 14 Stunden gearbeitet, und derweil lief es zu Hause – Familiensorge, Hauspflege – größtenteils ohne den Geld verdienenden Mann. Und jetzt?

 

Krisenstimmung: Rückzug oder tiefer Fall

Freie Zeit, keine Aufgabe und gleichzeitig die verstreichende Lebenszeit – eine Zwickmühle für den Mann.
Für diese Situation empfiehlt dem kriselnden Mann der streitbare Franziskanerpater Richard Rohr, tief zu fallen. Das klingt bitterböse, doch Rohr denkt wie in der Geschichte vom Weizenkorn: Sterben, damit mit anderen etwas Neues werden kann. Das nennt Rohr „aufwärts fallen".

 

Die zweite Hälfte des Lebens

Mit dem Aufwärts-Fall beginnt laut Rohr die zweite Lebenshälfte (die nach einer Krise beginnen kann). Diese zeichnet sich durch eine besondere Haltung zu sich selbst und damit zu anderen und zum Leben aus: „In der zweiten Hälfte des Lebens hat man immer weniger das Bedürfnis oder Interesse, Negatives oder Furchterregendes (Anm.: z.B. Erinnerungen an Fehler oder Schuld) auszulöschen, wie früher voreilige Urteile zu fällen, an alten Wunden festzuhalten oder andere Menschen zu bestrafen. Ihre Überlegenheitskomplexe haben sich nach und nach in alle Richtungen zerstreut. ... In der zweiten Hälfte des Lebens versuchen Sie ..., Ereignisse zu beeinflussen, Änderungen herbeizuführen, ruhig zu überzeugen, die eigene Einstellung zu ändern, zu beten oder zu vergeben" (Richard Rohr, Buch „Reifes Leben", S. 160). Kurz: „Wir haben uns vom Tun zum Sein und zu einer völlig neuen Art des Tuns bewegt ... Wir tun, wozu wir berufen sind, und versuchen dann, die Konsequenzen loszulassen." (S. 165)

 

Das Lebensgefäß füllen

Die erste Hälfte des Lebens ist laut Rohr ein Kampf ums Ich, um Erfolg, um Anerkennung usw. Das findet Rohr gar nicht negativ. Im Gegenteil: So wird das Gefäß gebaut, in das der Inhalt der zweiten Hälfte aufgenommen wird. Wer also zu wenig baut, kann nicht viel Leben aufnehmen. Jedoch sollte jeder Mann den Moment finden, um diesen Kampf der ersten Lebenshälfte zu Ende gehen zu lassen.
Eine lebenslange ‚Heldensage' zu sein, tut Männern nicht gut. Besser ist ein Leben mit Bekehrungsgeschichten. Und eine richtig große ‚Bekehrungsgeschichte' ist die des Wechsels in die berufsfreie Zeit: Männer verändern sich – als Person, spirituell, in ihrem Verhalten, in ihren Beziehungen und in ihrem Tun.

 

Fünf Orientierungen

Für die Veränderung schlägt Männerforscher Eckart Hammer in seinem Buch „Männer altern anders" fünf Orientierungen vor, um als alter Mann zufrieden zu leben:

  1. sich in verschiedenen Feldern (Familie bis soziales Engagement) betätigen und mit unterschiedlicher Verantwortung (leitend bis mitwirkend)
  2. sich um das Wohlbefinden (Leib/Körper) sorgen
  3. den Generationen (der eigenen, der Kinder- und der Enkelkinder-Generation sowie den noch kommenden Generationen) Aufmerksamkeit widmen
  4. soziale Kontakte mit vielen Personen und in unterschiedlicher Intensität pflegen: Partnerin/Ehefrau, Verwandtschaft, Freunde, Männergruppe (!)
    Prof. Hammer hält die Gespräche über sich selbst für sehr wichtig.
  5. Die Suche nach Werten und Sinn weiterführen und die Alterskrise(n) nicht überspielen, sondern den Abschied (das ‚Loslassen') vorbereiten und Ideale kennen und hoffnungsvoll sein.

 

Von der Weitergabe des Glaubens

Der Jesuit Piet van Breemen weiß von älteren Menschen, die sich große Sorgen um das Glaubensleben ihrer Kinder und Enkelkinder machen. Er meint, Kenntnisse und Erfahrungen können nur noch eingeschränkt an Jüngere weitergegeben werden, weil sich die Lebensverhältnisse stark verändert haben.

Dadurch verändert sich nicht die Möglichkeit der Glaubensweitergabe, sondern die Art und Weise: „Äußerst kostbar erscheint mir ..., wenn bei Älteren die Haltung zum Leben und die persönliche Transparenz durchscheinen. Hier sehe ich die wichtigste Möglichkeit für einen authentischen Dienst an Jüngeren." (S. 27)

 

Alte Männer gehen voran

Oft findet mann in der aktuellen Männer-Literatur einen Auszug aus einem Gedicht von T.S. Eliot, und die Zeilen sind auch für uns gut:
„Alte Männer müssen stets Kundschafter sein / Hier und dort sind einerlei. / Wir müssen still sein und dennoch vorangehen / Hinein in eine andere Inständigkeit / Zu neuer Vermählung, tieferer Vereinigung".

Wir können Kundschafter für ein neues Leben sein oder Kundschafter für das, was familiär oder ehrenamtlich zu tun ist; wir können kundschaften für andere, damit ... (bitte selbst weiterdenken).

 

 

 

abgedruckt in: Marienhof-Brief 2/2012, hrsg. von der Gemeinschaft katholischer Männer im Erzbistum Köln, Köln 2012, S. 17-22

 

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