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Nikodemus

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Der Fragen stellende Nikodemus

Autor: Burkhard R. Knipping

Nikodemus ist einer der Männer, die laut Neuem Testament persönlich mit Jesus über den Glauben sprechen. Im Johannes-Evangelium (nur dort) wird Nikodemus erwähnt, jedoch an drei Stellen.

 

In seinem Gespräch mit Jesus (Joh 3) zeigt Nikodemus einige Eigenschaften. Weil sie auf mich den Eindruck machen, als wären sie ein Stückchen männerspezifisch, finde ich Nikodemus sehr sympathisch und denke gern über ihn (und damit über mich) nach.

 

Zwei weitere Male im Johannes-Evangelium (Joh 7; 19) steht Nikodemus Jesus zur Seite, und auch aufgrund dieser zwei Begegnungen der beiden stellen sich mir Fragen zu meinem Glauben und über meine Beziehung zu Jesus.

Das Gespräch (Joh 3)

Nikodemus wird uns als Pharisäer vorgestellt und als Ratsmitglied der Juden (Joh 3,1). Seine Position war vielleicht so, dass er eine Sitzung des Hohenrates miteinberufen konnte. Jesus nennt ihn sogar „Lehrer Israels“ (3,10).

 

Er besucht Jesus nachts (3,2). Gemutmaßt wird manchmal, sein Besuch solle unentdeckt bleiben und Nikodemus sei feige. Passender sind zwei andere Deutungen: Die Nacht ist das Symbol für den Unglauben der vielen Menschen. Die Nacht ist der Zeitpunkt für ein ungestörtes Gespräch unter Männern; denn es ist Pessach, und da ist viel los in Jerusalem.

 

Ein tiefes Interesse und ein Gespür für die Bedeutung Jesu hat Nikodemus, sonst wäre er nicht zu ihm gegangen. Auch ein Anliegen, das er Jesus vorstellen wollte, wird er wohl gehabt haben.

 

Aber leider beginnt Nikodemus mit dem offiziellen Wissen über Jesus das Gespräch und spricht deswegen von „wir“ (3,2). Diess „wir“ kennt Jesus als Rabbi und als von Gott gekommenen Lehrer, und dieses „wir“ ist beeindruckt von Jesu Zeichen, in denen sich anerkannter Weise zeigt, dass Gott mit Jesus ist. Bedingt durch den gewählten Gesprächseinstieg ist Nikodemus vom bisherigen Wissen und Denken gefangen. Beiseite geschoben sind sein eigener Eindruck von Jesus und sein eigenes Anliegen.

 

  • Wieso geht Nikodemus so offiziell vor? Warum verlässt er sich nicht auf seinen eigenen Eindruck von Jesus? Ist er unsicher gegenüber seinem Gespür und schiebt er deshalb das bekannte Wissen und die Meinung der Fachleute vor? Ist dieses Vorschieben eine Taktik? Kommt Nikodemus sein Anliegen banal vor? Sieht er bei Jesus kein Entgegenkommen und kein Verständnis? Liegen die Glaubenserfahrungen, auf die Nikodemus bauen kann, nur auf der „Wir“-Ebene?

  • Bemühe ich mich um eine Annäherung an Jesus, die vom Allgemeinen absieht und das mir Eigene einbringt? Suche ich die Begegnung und das Gespräch mit Jesus über meine Anliegen und Fragen? Suche ich die Du-Ich-Ebene des Verhältnisses zu Jesus Christus oder (ver)berge ich mich in der „Wir“-Gemeinschaft? Wage ich mich mit meinen Unsicherheiten und Mängeln, mit meinen Stärken und Fähigkeiten zu ihm?

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Keine Deutungsbereitschaft (Joh 3)

Jesus sucht den persönlichen Draht zu Nikodemus: „Ich sage dir“ spricht er zu ihm (3,3) und nicht „Ich sage Euch“. Zum Offiziellen und zur Zeichen-Gläubigkeit sagt Jesus deutlich, aber ohne Nikodemus anzuklagen oder zu beschämen: „Wenn einer nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Anders formuliert: Mit einer alten Sichtweise bzw. mit der Sichtweise des „Wir“ versteht man(n) nicht, was das Reich Gottes bedeutet und wer Jesus ist.

 

Darum legt Jesus dem Nikodemus nahe, seine Position zu verändern: von dem bekannten, alten Blickwinkel hin zu jenem Gespür, das von Gott gelenkt wird.

 

Tatsächlich modifiziert Nikodemus seine Betrachtungsweise, aber nur hin zu einer technischen Perspektive: ‚Wie geht das? Wie funktioniert das?‘ Sogar das Biologische zieht er heran: ‚Zurück in Mamas Bauch und nochmal geboren werden?‘ (3,4)

 

Dadurch nimmt Nikodemus leider nicht an, was Jesus ihm dargelegt hat; denn dann hätte Nikodemus gefragt: „Was meinst Du mit ‚von oben geboren‘?“ (‚Von oben‘ heißt es in manchen Bibel-Übersetzungen.) „Wodurch kann ich ‚neugeboren‘ werden?“ „Was bedeutet es, das Reich Gottes zu sehen?“ „Wie komme ich in das Reich Gottes?“

 

  • Warum kommt Nikodemus nicht los von den Sichtweisen des Allgemeinen, des Technischen, des Biologischen? Warum löst er sich nicht von Tradition und Fakten? Warum steigt er nicht auf die Reflexionsebene hoch? Warum deutet er nicht, was Jesus ihm anbietet: von oben bzw. neugeboren, Reich Gottes? Warum deutet er Jesu Zeichen nicht, die ihn doch beeindruckt haben?
  • Kann ich eingebürgerte Sichtweisen beiseite schieben zugunsten einer neuen Perspektive? Beachte ich, dass hinter allem Gesagten eine höhere Größe gemeint sein kann? Habe ich den Mut, zu deuten, was mir gesagt wird und was ich sehe? Suche ich im Erlebten einen Bezug oder eine Spur zu Gott und zum Glauben? Bin ich bereit, neu zu denken und neu einzuschätzen? Möchte ich ‚im Geiste neu geboren sein‘ und von ‚oben her‘ verstehen?
  • Wieso findet Nikodemus nicht zu Jesu Worten? Empfindet er nicht genug Sympathie gegenüber Jesus, um in dessen Beisein neue Gedanken zu wagen?
  • Was hindert mich, auf Jesus und seine Botschaft zu vertrauen? Welche Grenze ziehe ich gegenüber Jesus? Wo hört mein Zutrauen auf? Bin ich bereit, von anderen Männern angebotene Hinweise zum Glauben aufzunehmen? Insbesondere dann, wenn sie nicht in meiner Gedankenspur liegen?

 

Jesus verdeutlicht Nikodemus seinen Hinweis und nennt deswegen Wasser sowie Geist, erwähnt den Kontrast von Geist und Fleisch und den Wind des Geistes (3,5-8). Dadurch verweist Jesus erneut auf den (heils)notwendigen Wechsel des Blicks. Jetzt sind sogar die von Nikodemus nicht gestellten Fragen beantwortet.

 

Zudem bittet Jesus den Nikodemus, sich nicht zu verwundern (3,7), was wohl heißt: ‚Nimm meine Worte bitte anders wahr.‘ Jesus düpiert Nikodemus nicht, sondern weist dessen Nicht-Verstehen als allgemeines Phänomen aus: „Ihr müsst …“ Aber Nikodemus wechselt die Perspektive wieder nicht, stellt erneut eine ‚Wie‘-Frage (3,9) und bleibt im alten Denkschema und alten Glauben.

 

  • Warum verschließt sich Nikodemus weiterhin? Warum erschließt sich ihm die Zuwendung Gottes im Geist und in Jesus nicht? Ist es die gefühlte Sicherheit der gewohnten „Wir“-Perspektive des Glaubens, die ihn festhält? Ist diese Sicherheit so groß, dass Nikodemus meint, anderes ignorieren zu müssen oder zu dürfen?
  • Sichere ich mich ab durch alte Gewissheiten des Glaubens? Wie groß oder klein ist mein Mut, ein neues Glaubensverständnis anzunehmen?

Im (Noch-)Nicht-Verstehen geblieben (Joh 3)

Jesus startet den dritten Erklärungsversuch, indem er Nikodemus an seine Lehrer-Aufgabe erinnert (3,10): zu wissen und zu vermitteln, was die Heilige Schrift darlegt.

 

Diese berichtet immer wieder, dass Menschen durch Gott (‚von neuem’ und ‚von oben’) geführt werden und sie sich Gottes Vorhaben unterstellen, dass sie einen anderen Geist bekommen und neue Sichtweisen annehmen. Aber Nikodemus, der umfassend Wissende und sachlich Fragende, bleibt in seiner alten Spur und somit ein Nicht-Verstehender. Jesus beschreibt nun – erst noch für Nikodemus („dir“ (3,11)) und dann für alle Nicht-Verstehenden („ihr“ (3,11)) –, was gute Tradition ist, was gerade passiert, was jetzt zu sagen angezeigt ist und was zu geschehen hat (3,11-21).

 

  • Warum ist Nikodemus so blockiert? Warum ist der „Lehrer“ so festgelegt?
  • Was blockiert mich, wenn es um Jesu neue Botschaft geht? Bin ich verhärtet – im Kopf und im Herzen? Sehe ich mich als ‚Mann alten Schlages’ und will ich deswegen vielleicht mit dem altem Geist ausgestattet bleiben? Schalte ich mich aus, weil mich neues Sehen, neues Denken und neues Verstehen überfordert?
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Die mutige Parteinahme (Joh 7)

Als alle Pharisäer-Kollegen und die Hohenpriester Jesus abgeurteilt haben und ihn töten wollen (7,25) und den Auftrag geben, Jesus zu verhaften, ergreift allein und dennoch Nikodemus Partei für Jesus (7,50-51): Er macht für ihn, den bei den Juden sehr umstrittenen jungen Mann, Recht und Gesetz geltend; er widersetzt sich der Willkür der wütenden religiösen Führungsriege, die mit Jesus schnellen Prozess machen will. Damit riskiert Nikodemus viel: Pharisäer wie Hohepriester schimpfen ihn deswegen sogleich einen Jesus-Sympathisanten und nennen ihn unwissend (7,52).

 

  • Wann setze ich mich für die religiösen Anliegen jüngerer Männer ein, die anderes sagen sowie suchen und anders glauben als ich? Wie viel Gegenwind von Kollegen oder Freunden halte ich für eine solche Parteinahme aus? Wie viel Mut steckt in mir? Was traue ich den jungen Männern hinsichtlich des Glaubens zu? Anerkenne ich ihr Glaubenszeugnis als Hinweis für mich, wie Glaube auch sein und wirken kann und wie ich glauben kann?
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Tatkräftige Anerkennung und Ehrung (Joh 19)

Nochmals taucht Nikodemus an der Seite Jesu auf: Er allein hilft Josef von Arimathäa Jesus vom Kreuz zu nehmen und ins Grab zu legen (19,38-42). Die Abnahme und Grablegung ist genehmigt (19,38) und doch ein Akt sehr großen Mutes. Würdig, ehrenvoll, fast königlich bestatten die beiden Männer Jesus (19,40-42). Nikodemus greift dafür tief in die Tasche, denn er steuert viel teures Öl bei (3,39).

 

Durch die Grablegung Jesu bereiten Josef und Nikodemus einen Ort der weiteren Verkündigung und der Auferstehungserfahrung vor (Joh 20-21).

 

  • Bleibe ich so wie Nikodemus dran an Jesus? Trotz meines Nicht-Verstehens? Und wenn ich (noch) nicht die neue Perspektive gefunden haben sollte, mache ich mich für sie innerlich bereit? Biete ich für andere Männer und Frauen Möglichkeiten an, ihrerseits zum Glauben zu kommen?
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Oft ungenannt, dadurch zu wenig bekannt

Die synoptischen Evangelien nennen Nikodemus nicht. Leider findet er deshalb in der 14. Station des Kreuzweges keine Erwähnung und bleibt uns als Mann, der Jesus begegnet ist, recht unbekannt.

 


 

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Dr. Burkhard R. Knipping

Referent