„Ökumene der Evangelisierung“:Wie das Erzbistum Köln von Erfahrungen der anglikanischen Kirche profitieren will
Der katholische Kölner Erzbischof und der zukünftige anglikanische Erzbischof von Melbourne in Australien treffen sich zum Gespräch. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Konstellation?
Woelki: Im vergangenen Jahr habe ich mit einer kleinen Gruppe aus unserem Erzbistum im Rahmen einer Lernreise London und dort insbesondere HTB besucht. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die anglikanische Pfarrei Holy Trinity Brompton in South Kensington, wo vor mehr als 40 Jahren die Alpha-Kurse entstanden sind, die auch viele bei uns in Deutschland inzwischen kennen. An einem Tag haben wir u.a. an einem Workshop im St. Gregory Center for Church Multiplication, kurz CCX, teilgenommen, das von Bischof Ric Thorpe geleitet wird. Damals wussten wir natürlich noch nicht, dass dieser bald der neue Erzbischof von Melbourne werden würde. Aber so kam der Kontakt zu Stande, und ich freue mich sehr über den Besuch aus Anlass einer anglikanischen Bischofssynode hier in Köln!
Was ist dieses CCX und was machen Sie dort?
Thorpe: CCX wurde 2015 von der anglikanischen Diözese von London mit dem Auftrag gegründet, dabei mitzuhelfen, 100 neue Gottesdienstgemeinden in der ganzen Stadt zu gründen. Unter anderem aufgrund des Erfolgs bei diesem Ziel, ist der Aufgabenbereich des CCX rasch gewachsen und unterstützt nun diözesane Leitungsteams und Kirchenleiter in ganz England und darüber hinaus bei der Gründung und dem Wachstum von Kirchen und der Entwicklung ihrer Strategien für die Gemeindegründung.
Das klingt für uns in Deutschland sehr ungewohnt. Wie genau tun Sie das?
Thorpe: Im Jahr 2018 verabschiedete die Kirche von England eine Erklärung, in der die Gründung neuer Gemeinden als ein entscheidender Beitrag bezeichnet wurde, um mehr Menschen in England zum Glauben an Christus und zur Teilnahme am Leben der Kirche zu führen. Im Jahr 2019 verabschiedete die Generalsynode einen Antrag, der jede Pfarrei und Diözese ermutigt, Teil dieser Bewegung zu sein, neue Jünger und neue Gemeinden zu bilden. Unser Beitrag bei CCX ist ganz konkret, Menschen und Teams für diese spannende Aufgabe auszubilden. Bei uns lernen sie, worauf es ankommt, wenn man neue Gemeinden gründen oder bestehende Gemeinden zu neuem Wachstum verhelfen möchte.
Herr Kardinal, was haben Sie bei dem erwähnten Workshop in London gelernt?
Woelki: Die erste und wichtigste Lernerfahrung war: Es geht! Wachstum, neue Gemeinden, das ist auch heute möglich. Auch in einer westlichen Stadt – London – die in Teilen noch säkularisierter ist, als wir es bei uns heute schon kennen. Für uns war dann natürlich vor allem das ‚wie‘ interessant. Einige Aspekte erscheinen mir da besonders wichtig: Die neuen Gemeinden sind stark getragen vom gemeinsamen Gebet der Verantwortlichen und von einem beinahe grenzenlosen Vertrauen in die Wirkmacht des Heiligen Geistes. Das hat mich fast ein bisschen beschämt. Am Anfang stehen nicht Masterpläne, Werkzeuge und so weiter. Sondern am Anfang stehen Gebet und Vertrauen auf den Heiligen Geist.
Handwerkszeug und konkrete Instrumente gehören aber auch dazu?
Woelki: Natürlich. Es sind zumeist ganz praktische Dinge, die man lernen und beachten kann. Das hat mich bei der Arbeit von CCX besonders beeindruckt. Alle sind angetrieben von Jesu Auftrag: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Und zugleich ist die Arbeit sehr reflektiert und strukturiert. Erfahrungen aus Jahrzehnten der Gemeindegründungen wurden ausgewertet und fließen jetzt in Kurse und Angebote ein, um dieses Wissen und diesen Schatz zugänglich zu machen. Papst Paul VI. hat uns schon 1975 – also vor 50 Jahren! – ins Stammbuch geschrieben: „Wir müssen kühn und umsichtig und zugleich in unbedingter Treue zum Inhalt die geeignetsten und wirksamsten Weisen zur Mitteilung der Botschaft des Evangeliums an die Menschen unserer Zeit neu entdecken und in die Tat umsetzen“ (EN 40). Der Inhalt ist immer der gleiche: Christus. Die Art und Weise ihn zu verkünden muss immer aufmerksam sein für die Bedürfnisse der Menschen unserer Zeit!
Können Sie uns einige dieser Aspekte nennen, auf die es aus Ihrer Erfahrung besonders ankommt?
Thorpe: So unterschiedlich jede Gemeinde auch sein mag, so gibt es doch ein paar verbindende Elemente, die wir dort immer wieder finden, wo Wachstum und Erneuerung gelingen. Neben dem Gebet, besonders um den Heiligen Geist, dass der Herr Kardinal gerade schon erwähnt hat, sind das vor allem einladende Gottesdienste, das inspirierende Sprechen über den eigenen Glauben, die eigene Christus-Beziehung und das Bilden kleiner Gemeinschaften. So viele Menschen haben heute Sehnsucht nach echten, tragenden Beziehungen. Wir können diese Gemeinschaft anbieten und noch viel mehr: Wir dürfen Menschen einladen, eine eigene Erfahrung mit Christus zu machen. Die Freundschaft untereinander und die Freundschaft mit Christus gehören zusammen.
In vielen Pfarreien in England - und vielleicht wird es hier bei Ihnen ähnlich sein - haben wir aus dem Blick verloren, dass wir ungefähr 95 Prozent der Menschen nicht mehr erreichen. Wir sind so mit uns selbst beschäftigt, dass wir ganz vergessen, dass wir zu allen Menschen gesandt sind. Der Herr Kardinal hat den Auftrag Jesu zitiert. Das wäre also ein weiterer Aspekt: bewusst auf die 95 Prozent zu schauen und auf die zugehen.
Worum ging es bei Ihrem Gespräch hier in Köln?
Woelki: Wir haben heute vor allem darüber gesprochen, was wir als Erzbistum, also was ich als Erzbischof aber auch die entsprechenden Bereiche unseres Generalvikariates, dafür tun können, damit die Erfahrungen aus England auch bei uns fruchtbar werden können. Es gibt ja schon „Übersetzungen“ in katholische Kontexte. Etwa in Kanada oder den USA. In den kommenden Monaten wollen wir aber versuchen, diese Impulse auch in unser Erzbistum zu tragen, um manches einfach auszuprobieren. Ich bin sehr froh darüber, dass dabei viele mitmachen wollen und mir auch immer wieder sagen, wie groß ihre Sehnsucht nach Wachstum und Erneuerung ist.
Ein katholischer Kardinal fährt nach London und trifft sich jetzt hier mit einem englischen Bischof, um von den Anglikanern zu lernen. Das mag manchen überraschen. Was sagen Sie denen?
Woelki: Neben den beeindruckenden Beobachtungen, die wir in London bei Gemeindegründungen machen durften, hat mich vor allem die Erfahrung der Großzügigkeit und der Gastfreundschaft bewegt. Wir wurden von unseren anglikanischen Freunden mit offenen Armen empfangen, und sie haben so freigiebig ihre Erfahrungen mit uns geteilt. Ich habe da wirklich gespürt, dass es uns gemeinsam zuerst um Christus geht und wie wir ihn auch heute verkünden können. Natürlich gibt es Dinge, die uns Katholiken und Anglikaner voneinander trennen. Aber viel mehr verbindet uns. Das ist für mich wirklich gelebte Ökumene. Eine Ökumene der Evangelisierung, wenn Sie so wollen.
Thorpe: Wir freuen uns sehr über das Interesse unserer katholischen Geschwister. Und wir lernen auch viel voneinander. Ich bewundere den Mut, mit dem Kardinal Woelki und andere im Erzbistum Köln der Frage nachgehen, wie es auch hier bei Ihnen gelingen kann, neues Wachstum zu ermöglichen. Wenn wir dazu einen kleinen Beitrag leisten können, dass auch hier Menschen Christus begegnen können, dann ist das für uns das größte Geschenk!
Aktuelle Nachrichten aus dem Erzbistum Köln
Pressemitteilungen
Alle Pressemitteilungen des Erzbistums Köln finden Sie im Pressebereich.
Suche innerhalb der News
Service und Kontakt
Service und Kontakt
Pressekontakt
Geschäftszeiten
Pressekontakt
Geschäftszeiten
Mo-Do: 8.30 - 17 Uhr
Fr: 8.30 - 14 Uhr
Erzbistum Köln
Newsdesk