Zum Inhalt springen

Tagebuch: Ostern bei der Seenotrettung von MOAS

Dramatische Szenen spielten sich bei einer Rettung von Flüchtlingen am 14. April ab.
Datum:
17. Apr. 2017
Von:
domradio.de/Pfr. Regamy Tillainathan
MOAS-Schiff im Mittelmeer - Pfarrer Regamy Thillainathan - Persönliche Eindrücke

Pfarrer Regamy Thillainathan hat das Osterwochenende auf dem Schiff der Seenotrettungsorganisation MOAS verbracht und seine persönlichen Eindrücke in Tagebucheinträgen festgehalten (s.u.). Nun hat er wieder Land unter den Füßen: Der Kölner Pfarrer Regamy Thillainathan berichtet im Interview mit Domradio von Flüchtlingsrettung auf hoher See.

Persönliche Eindrücke in Tagebucheinträgen

Ostermontag, 17. April

Die Anstrengungen der letzten Tage sind bei uns allen zu spüren und die bis zu zweieinhalb Meter hohen Wellen machen uns zu schaffen. Überall ist Wasser. Fast alle Geretteten sind so seekrank, dass wir nicht mal mehr Kotztüten haben und uns anderweitig helfen müssen. Dazu kommen bei einigen die traumatischen Erlebnisse der letzten Tage hoch. Als einmal die Welle auf der Bugseite uns eiskalt erwischt, hält sich einer der jungen Männer heulend an meinem Bein fest und bittet mich, ihn nicht oben allein zu lassen.

Auf der Krankenstation, wo ich in diesen Tagen aushelfe, haben wir alle Hände voll zu tun. Ich habe selten so viele heulende, erwachsene Menschen auf einmal gesehen und die Schwangeren an Bord machen uns Sorgen. Wir werden bis Mittwoch ausharren müssen und in einigen Fällen beginnt langsam ein Wettlauf mit der Zeit.

Zur Nacht hin wird alles ruhiger, das Meer und die Menschen. Um 20 Uhr können wir endlich mit Verspätung die Osternacht feiern. Es ist eine sehr dichte Stimmung während der Feier. Ich darf freimütig bekennen: noch nie habe ich bei mir selbst und bei den Mitfeiernden eine solche Andacht und Konzentration gespürt. Für viele ist es die Osternacht nach vielen Jahren auf Rettungseinsätzen und mit Blick auf die vergangenen Tagen wirkt diese Feier so, als würden wir dieser Welt der Gleichgültigkeit trotzen wollen. Nach der Osternacht wird entschieden, dass die große Osterkerze in dieser Nacht weiterbrennen soll und weiterbrennen muss. Die Dunkelheit darf schließlich nicht siegen!

Ostersonntag, 16. April

Ostersonntag, 16. April

Heute Morgen dann ein weiterer Hilferuf. Ein NGO-Schiff von Juventa war schon dort und wir kamen dazu, weil ein Gummiboot unterging und Menschen zu ertrinken drohten. Leider hat diese Reise für viele hier ein dramatisches Ende gefunden. Sieben Leichensäcke haben wir jetzt an Bord: Frauen und Männer und vor allem ein kleiner Junge, der vielleicht sechs oder sieben Jahre alt geworden ist. Jedesmal wenn wir einen Leichensack zugemacht haben, hielten wir inne und ich konnte in Ruhe für diesen Menschen beten. Bei dem kleinen Jungen kamen wir aber doch alle an unsere Grenzen. Niemand hat verdient, so zu sterben. Es sind heute aber viel mehr Menschen als diese sieben gestorben, aber deren Leichen konnten wir nicht bergen. Zwei Menschen haben unsere Rettungsteams noch versucht, herauszuziehen, aber leider haben sie es nicht mehr schaffen können und sahen wie diese starben. Die Betreuung der HelferInnen stand somit heute auch irgendwie im Fokus.

Wir versuchen gerade weitere 500 Menschen auf ein Handelsschiff zu bringen, aber die hohen Wellen zehren an unseren Kräften und Nerven...
Ich habe bei meinen Weihen versprochen, den Armen und Kranken beizustehen und den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen. An diesem Ostersonntag merke ich ziemlich intensiv, was das letztendlich bedeuten kann und wie sehr dies schmerzen kann. Wenn man in das Gesicht des kleinen ertrunkenen Jungen schaut und in dessen Angesicht den Gekreuzigten entdeckt, dann wartet man noch sehnsüchtiger auf Ostern!

Ich durfte einen jungen Mann aus dem Wasser ziehen. Hier leiste ich erste Hilfe und Betreuung bis Ärzte von einem Notfall zurückkehren. Ja, jetzt ist Ostern. Christus ist wahrhaft für uns alle auferstanden. Halleluja!

Karsamstag, 15. April

Am Samstagmorgen um 2:30 Uhr wurden wir geweckt. Ein orientierungsloses Gummiboot mit ungefähr 140 Menschen wurde gesichtet und weil wir am nächsten dran waren, wurden wir dorthin gerufen. Als wir gerade damit fertig waren, die Menschen auf unser Schiff zu evakuieren, wurden wir um 9:00 Uhr zu einem anderen Holzboot gesendet - vermutlich mit über 500 Menschen an Bord. Einige konnten wir evakuieren - vor allem alle Frauen, Kinder und Verletzte.

Währenddessen wurde immer mehr deutlich, dass viel mehr Menschen sich auf dieser gefährlichen Reise befanden und wir so ziemlich alleine auf dem Mittelmeer sind: acht Gummiboote und zwei hölzerne Boote mit mehr als 1500 Menschen und wir mittendrin mit einer überreizten Kapazität. Auf unsere Hilferufe hat sich keine staatliche Seite gemeldet. Verschiedene Schiffe waren unterwegs, aber keiner wollte in dieser Notsituation eingreifen. Wir haben stundenlang inmitten dieser vielen Boote und der verzweifelten Menschen ausgeharrt, sie mit Wasser und Rettungswesten versorgt und immer wieder die Verletzten aufs Schiff geholt. Gegen Nachmittag kamen Handelsschiffe und weitere NGOs, die unsere Hilferufe vernommen haben. Die Rettungsaktion hat letztendlich bis heute Morgen gedauert.

In der Nacht:

Für mich wird es in diesem Jahr keine Osternacht geben, aber ich hoffe auf einen Ostermorgen! Eine weitere Hilfsorganisation hat ein Boot gerettet, aber es warten noch an die 1000 Menschen auf Rettung. Wir erwarten ein Handelsschiff um eins - dann müssen wir weiter schauen und hoffen. Der Herr ist mit uns. Er ist treu! Daraus lebe ich!

 

Karfreitag, 14. April

Heute früh haben unsere Radare etwas Verdächtiges entdeckt. Als unser Rettungsboot dann letztlich das vollkommen überfüllte Gummiboot erreichte, waren schon die ersten im Wasser und drohten zu ertrinken. Nur dem schnellen Rettungsschwimmer Paul war es zu verdanken, dass bei dieser Rettung niemand gestorben ist. Die Gesichter der 134 Menschen, die gerettet wurden, kann man nicht so schnell vergessen: die panischen Gesichter derjenigen, die im Wasser zu ertrinken drohten; die vollkommen abwesenden Gesichter derjenigen, die von vielen Stunden auf dem Mittelmeer ohne Wasser und Nahrung traumatisiert waren; die frohen Gesichter derjenigen, die verstanden haben, dass sie nun gerettet sind.

Eine schwangere Frau, bei der das Geld nicht für die Überfahrt ihres Ehemannes ins "gelobte Land" gereicht hat, war genauso mit an Bord wie Alesain, ein junger Senegalese, der während der ganzen Rettung anderen geholfen hat, die Rettungswesten anzuziehen und zu übersetzen und darauf bestand, als Letzter das Gummiboot zu verlassen, um uns weiter vor Ort helfen zu können.

Heute Nachmittag kam dann direkt ein zweiter Einsatz. Wir haben weitere 140 Menschen gefunden, die vollkommen verloren auf dem Meer herumirrten. Es stank furchtbar nach Diesel auf diesem überfüllten Boot. Wir haben ihnen Rettungswesten gegeben und mit ihnen gewartet, bis die italienische Küstenwache sie an Bord holen konnte. Unsere 134 Flüchtlinge haben sie ebenfalls auf ihr Schiff geholt.

Jetzt feiern wir die Karfreitagsliturgie, während wir wieder Richtung Libyen zurückkehren!

 

Gründonnerstag, 13. April

Ich habe schon an vielen Orten und in vielen Ländern Gründonnerstag feiern dürfen. Doch in diesem Jahr war und ist alles anders. Wir waren den ganzen Tag unterwegs. Es gab immer wieder Meldungen und Sichtungen von Gummibooten - auf dem Meer treibend. Niemand war aber zu entdecken. Unsere Radare zeigten verdächtige Bewegungen an, aber da dies in den libyschen Gewässern vonstatten ging, mussten wir weiterhin in den internationalen Gewässern ausharren.

Gegen Nachmittag kam dann die Meldung: fast 100 Menschen kurz vor der libyschen Küste vermisst - was nichts anderes bedeutet als ertrunken! Die Stimmung auf dem Rettungsschiff war dementsprechend bedrückt: wir waren so nah und doch so hilflos.

Mit dieser Stimmung gingen wir in die Feier der Gründonnerstagsliturgie. Alle waren eingeladen mitzufeiern, aber natürlich alles freiwillig. Mich hat es schon überrascht und berührt, dass alle 24 Crew- und Rettungsteammitglieder geschlossen an der Liturgie teilnehmen wollten. Es war eine sehr dichte Stimmung und vor allem bei der Schweigeminute für die Opfer war diese nahezu greifbar. Bei der Fußwaschung habe ich drei Personen aus drei verschiedenen Ländern und verschiedenen Teams die Füße gewaschen. An dieser Stelle wurde mir deutlich: ja, hier gehöre ich hin. Die Einsetzung des Priestertums und die Einsetzung der Eucharistie - auf dem Rettungsschiff Phoenix neu entdeckt.

12. April

12. April

Der Tag war geprägt von vielen Eindrücken und vielen Begegnungen. Eines vorweg: meine Befürchtung bezüglich meiner Anwesenheit bei der Crew haben sich überhaupt nicht bestätigt. Ich fühle mich gut aufgenommen und ich habe noch sehr lange mit einigen von ihnen zusammengesessen und die Zeit vor dem Einsatz genutzt, um sie kennenzulernen. Sie alle haben ganz unterschiedliche (Lebens-)Geschichten zu erzählen und doch ist allen eines gleich: die Begegnung mit dem Leid anderer Menschen fordert sie heraus, um in unserer Welt etwas Gutes, etwas Schönes, etwas Sinnvolles zu tun.

Ich fühle mich zu Hause. Die anderen drei, mit denen ich die Kajüte teile, sind sehr herzlich. Auch wenn die Kajüten offen sind und wir direkt neben dem Bad gelegen sind, wo durchgehend Licht brennt, habe ich gestern sofort schlafen können. Vielleicht auch weil mir leicht schwindelig war. Mal sehen, wie es sich weiter entwickelt.

11. April

Vor wenigen Stunden habe ich erfahren, dass es doch früher losgeht als geplant. Bis gestern morgen war ich dienstlich nicht zu Hause. Bis noch zwei Stunden vor dem Abflug war ich mit Kofferpacken beschäftigt.

Ich bin froh, dass ich jetzt im Flieger sitze und dass es jetzt endlich irgendwie los geht. Andererseits spüre ich jetzt zum ersten Mal wirklich Aufregung.
Mehrere Fragen beschäftigen mich momentan:

  • Werde ich seekrank?
  • Wie ist die Stimmung unter den Crewmitgliedern und der Besatzung vor Ort? Ich bin schließlich ein "Fremdkörper" und die Menschen vor Ort haben ihre Erfahrungen oder zumindest ihre Meinungen und Bilder von Priestern...
  • Wie werde ich in Extremsituationen reagieren? Hoffentlich stehe ich den HelferInnen nicht im Weg.
  • Wie und wo werde ich Gottesdienste feiern (können)?

Ich habe gerade nochmal vor dem Start gebetet und dem Herrn genau diese Fragen und Unsicherheiten dargebracht. Irgendwie musste ich hier an meinen Primizspruch aus dem Buch Jesaja denken: "tecum sum". Ich bin mit dir!

Ich bin nun am MOAS-Schiff angekommen. Ich merke aber, dass Schwindel und Übelkeit wahrscheinlich ein Thema sein werden... Es ist ziemlich stürmisch auf dem Meer und obwohl wir noch am Hafen liegen, merkt man das hier ständig - und das tut mir überhaupt nicht gut. Die Crew ist super. :-)

Interview mit Pfarrer Regamy vor Beginn der Reise

Service und Kontakt

Service und Kontakt

Pressekontakt

Geschäftszeiten

Kardinal-Frings-Str. 1-3
50668 Köln

Pressekontakt

Geschäftszeiten

Mo-Do: 8.30 - 17 Uhr
Fr: 8.30 - 14 Uhr

Erzbistum Köln
Newsdesk